Clubhouse, Voice Assistants und Co. zeigen die steigende Bedeutung des Hörsinns für die digitale Medienwelt. Wie wichtig ist dabei der Klang einer Marke? Und wie lässt sich die Audio-Identität umfassend und wiedererkennbar umsetzen? Wir fragen Stephan Nölke, einen gefragten Audio/Voice-Innovations-Experten und Gründer der comevis GmbH & Co. KG, nach den wichtigsten Trends und Learnings für das Sound Branding im Marketing-Mix.
1. Warum sind akustische Markenprofile wichtig und welche Trends lassen sich hierbei beobachten?
Ein hörbares und wiedererkennbares Markenprofil strategisch zu definieren und nachhaltig zu entwickeln, wird immer wichtiger, denn wir leben in zunehmend auditiv geprägten Zeiten. Gerade die digital transformierte Welt bietet eine neue Vielzahl an Touchpoints, die neben den Augen auch die Ohren ansprechen – ob es sich dabei um Social-Media-Videos, Webseiten, mobile Apps und TV handelt oder gar um rein auditive Kanäle wie Radio, Podcasts oder Service-Hotlines. Gerade Podcasts sind aktuell ein besonders gehyptes Thema, können Unternehmen doch mit einem klugen Corporate-Podcast-Konzept ihre Zielgruppe direkt in deren Lebensrealität erreichen und für markenrelevante Themen sensibilisieren und begeistern.
Dann gibt es da noch den aktuellen Hype um die Social-Audio-Apps Clubhouse und nun auch Stereo. Das und der langjährige Trend in Richtung Voice und Voice Commerce zeigen die steigende Notwendigkeit eines überzeugenden Sound-Profils. Clubhouse bietet dabei zusätzlich die Möglichkeit, aus der rein sendenden Rolle in einen interaktiven Dialog zu wechseln. Hierbei können Unternehmen von Ihrer Zielgruppe lernen und ihre Strategie entsprechend an deren Wünsche anpassen. Außerdem lässt sich durch den im wahrsten Sinne des Wortes hörbaren Dialog die Transparenz erhöhen und damit das gegenseitige Verständnis verbessern. Letztlich verwundert es also kaum, dass in den aktuellen Top 20 Marketingtrends fast die Hälfte mit Sound zu tun haben.
Diese Entwicklung wird nun weiter verstärkt, denn seit kurzem gibt es völlig neue cloudbasierte KI-Tools, mittels derer die Steuerung der akustischen Markenführung messbar wird. Content-Generatoren bieten zudem mehr Effizienz und eine bessere Performance. Wir treiben diese Entwicklung in unserem Unternehmen mit Hochdruck voran und unsere diesbezüglich selbst entwickelten C-Cloud Tools wurden kürzlich mit einem Innovationspreis ausgezeichnet. Traditionelle Kreativ- und Designkompetenzen verschmelzen also gerade mit Tech-basierten Audio/Voice-Innovationen – und da steckt im wahrsten Sinne des Wortes Musik drin.
2. Wie entsteht ein passender Sound für eine Marke?
Ein Markenprofil mit einem Soundkonzept zu verbinden, ist ein höchst individueller und kreativer Prozess. Hier müssen unterschiedlichste Aspekte vom Markenimage über die Produktpalette bis zur Zielgruppe und deren kontextabhängigen und zum Teil unbewussten und emotionalen Assoziationen bedacht werden. Um nur ein paar konkrete Beispiele aus unserer Arbeit zu nennen: O2, mit seinen bekannten Sauerstoff-Bubbles, nutzt luftig klare Synthesizer-Texturen, um sich als sympathischen und vertrauensvollen Technologie-Begleiter seiner Kund:innen zu positionieren. Die Versicherung Helvetia lässt pulsierende Beats aus dem Club mit einem Schweizer Bläser-Quartett sich im Einklang vereinen, um das Spannungsfeld zwischen dem traditionsbewussten Qualitätsanspruch der Marke und einer zukunftsgerichteten Customer Experience darzustellen. Und der Kultclub Borussia Dortmund drückt seine Liebe zum Verein und zum Fußball durch elektrisierende E-Gitarren aus, die mit pumpenden Drums ein dynamisches Zusammenspiel wagen.
3. Worauf sollten Unternehmen bei ihrer eigenen Audio-Strategie zuallererst achten?
Die hörbaren Momente entlang des Themas Brand Experience und der auditiv erlebbaren Customer Journey sind so vielschichtig, dass Audio/Voice-Markenführung nur funktioniert, wenn im Zentrum ein strategisches Regelwerk steht. Leider herrscht häufig die Meinung, dass ein 2 Sekunden langes Soundlogo ausreicht, um das Thema Sound Branding zu erledigen. Der Trend zeigt heute aber eindeutig: Es ist keine einmalige Maßnahme, sondern ein laufender Prozess – und jeder Touchpoint hat dabei seine ganz eigenen Anforderungen an Klang und Stimmen.
Hierfür braucht es daher stattdessen einen sogenannten Sonic Code – die akustische und stimmliche DNA einer Marke, wie wir es bei comevis nennen. Zu diesem Regelwerk gehören dann hochflexible und modular einsetzbare Audio/Voice-Contents. Erst dieses Zusammenspiel ermöglicht eine synchronisierte, hörbare Marken-Orchestrierung. Letztlich hat akustische Markenprofilierung nichts mit der isolierten Betrachtung zum Beispiel eines Kampagnen-Sounds zu tun – es geht vielmehr um eine langfristige Aufgabenstellung in der Marken- und Unternehmenskommunikation.
Dafür haben Unternehmen hierzulande übrigens das große Glück, aus einem der größten Synchronmärkte weltweit und somit einem großartigen Pool an Profistimmen schöpfen zu können. Die deutsche Agenturszene im Bereich Sound Branding gilt international als Vorreiter. Was meist nicht bekannt ist, dass auch die Software, mittels derer heutzutage Musik programmiert und designt wird, meist Made in Germany ist.
4. Welche Unterschiede gibt es bei den verschiedenen Zielgruppen?
Für unterschiedliche Zielgruppen und Personas gilt es, spezifische Sound-Profile zu verankern, denn Musik wird je nach Stimmungslage und Lebensphase sehr unterschiedlich aufgenommen. Konkret: Habe ich als Kund:in beispielsweise mit meiner Versicherung Kontakt, macht es einen großen Unterschied, ob ich mich als junger Mensch absichern möchte oder ob ich im Schadens- oder Krankheitsfall Hilfe benötige. Genauso spielen auch regionale Differenzierungen eine wichtige Rolle. Eine Corporate-Voice-Stimmenpaarung kann und darf daher in Hamburg aus einer Stimme mit norddeutschem Dialekt – in Bayern jedoch mit bayrischer Stimmfärbung – kombiniert mit einer hochdeutsch sprechenden Stimme bestehen, um sowohl Brand Fit als auch besondere Nähe zum Konsumenten herzustellen. Beim Sound hingegen muss die Klang-Architektur so modular und vielschichtig sein, dass die unterschiedlichen kontaktspezifischen Anforderungen bei gleichzeitiger Einhaltung des Sound-DNA-Regelwerks bespielbar bleiben. Wir versuchen also maximale Wirkpotenziale bei jedem hörbaren Kontakterlebnis entlang der Customer Journey konsequent auszuschöpfen.
5. Was sind die größten Herausforderungen bei der auditiven Kommunikation?
Eine besonders große Herausforderung sehen wir darin, dieses strategische Denken und Handeln in den Brand- und Marketingabteilung zu verankern. Denn noch immer wird Sound Branding allzu oft mit einem Kampagnen-Sound oder einem lustigen Jingle verwechselt. Hinzu kommt, dass die begleitenden Agenturen Sorge haben, sie könnten in ihrer kreativen Gestaltung eingeengt werden. Das ist in der Regel unbegründet, denn gerade wir Sound-Branding-Spezialisten gestalten und entwickeln Konzepte und Architekturen, bei denen das funktionale Sound-Design in seiner modularen, crossmedialen Einsetzbarkeit die entscheidende Rolle spielt. Hier sind die verantwortlichen CMOs gefragt und es bietet sich die Einrichtung einer entsprechenden Acoustic Brand Policy an. Diese sichert die Einhaltung der Anwendung des Sonic Code (akustische DNA) und kann wo nötig regelnd eingreifen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die kreativ konzeptionelle Erstellung der eigenen Corporate Soundtoolbox als Content Base, vergleichbar mit einer eigenen Bilddatenbank. So können dann große Klangmarken entstehen.
6. Als Geschäftsführer von comevis hast Du viel Expertise im Bereich Audio-Identität aufgebaut. Wie sehen Eure Best Cases aus?
Sie sehen nicht nur gut aus, sie klingen auch fantastisch. Wir sind besonders stolz darauf, dass praktisch alle Steuerungs-Tools und Corporate Soundtoolboxen, welche wir seit unserem Gründungsjahr 2002 entwickeln durften, bis heute im Einsatz sind und meist stetig weiterentwickelt werden. Die Vorteile des strategischen 360-Grad-Ansatzes lassen sich zum Beispiel bei Yello gut beobachten. Im Rahmen einer umfassenden Markenrepositionierung hat der Strom- und Gasanbieter auch erstmalig eine akustische Marken-Klangarchitektur umgesetzt. Aus der eigens neu konzipierten Klang-ID ist dabei nicht nur ein neues Soundlogo entstanden, sondern ebenfalls eigene Funktionsklänge für die Yello-App „kwhapp“, ein Sound-Design and Composing für yello-TV und Kino-Spots, multimediale Kommunikation auf allen Social-Media-Kanälen, Corporate Radio-Spots sowie die Klanggestaltung des telefonischen Kundenservice.
7. Wie werden sich akustische Markenprofile in der Zukunft entwickeln?
„The future sounds great“, davon sind wir überzeugt. Die Potentiale für unsere Kund:innen sind riesig, aber oft noch ein Stück ungehört. Es geht vor allem um klangliche Profilierung – noch viel wichtiger ist aber die strategische Positionierung bezogen auf Audio und ganz besonders auf Voice. Die Gestaltung und Weiterentwicklung von Voice-Interaktionen wird in den nächsten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen. Schon heute genießen es viele Menschen – eyes-and-hands-free – mittels der Stimme Dinge zu bedienen und mit dem Netz zu interagieren. Und ist es nicht ein schöner Gedanke, wenn wir in Zukunft alle weniger vor unseren Bildschirmen hängen und mehr Lebensqualität durch die Nutzung von Audio/Voice-Innovationen erhalten?