Der Massenexodus von Personal – auch bekannt als „The Great Resignation“ oder „Die große Kündigungswelle“ – betrifft nicht nur US-Unternehmen, sondern auch Firmen in Europa. Mitarbeiter:innen verarbeiten die Erfahrungen des Lockdowns und planen, wie ihr Leben nach der Pandemie aussehen soll, dabei entscheiden sich viele für einen neuen Weg und reichen die Kündigung ein. Dies ist eine echte Herausforderung für die Verantwortlichen in den Unternehmen, aber auch eine Chance. Wir werfen einen Blick darauf.
Was ist die „Great Resignation“?
Im September 2021 haben mehr als vier Millionen US-Amerikanischen Beschäftigen ihren Job gekündigt und damit den Kündigungsrekord des Vormonats gebrochen. Aber das ist noch nicht alles: Laut dem jüngsten „Work Trend Index“ von Microsoft erwägen auch etwa 40 Prozent der übrigen Arbeitnehmer:innen einen Jobwechsel. Dieser Trend ist in den USA am stärksten ausgeprägt, doch auch in der EU sind viele Angestellten unzufrieden. Die Zahl der Kündigungen ist in diesem Jahr um 15 % gestiegen, verglichen mit dem gleichen Zeitraum im Jahr 2019, also vor der Pandemie.
Auch das Marketing ist alles andere als immun gegen Kündigungen. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter mehr als 700 Marketingfachleuten ergab, dass sechs von zehn einen Jobwechsel in diesem Jahr planen und die Hälfte einen kurzfristigen Karrierewechsel zumindest in Betracht zieht.
Die meisten Arbeitskräfte, die ihren Job verlassen, befinden sich auf einer mittleren Karrierestufe und fallen in die Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen. Die Branchen, in denen die Nachfrage während der Pandemie am schnellsten gestiegen ist – Gesundheitswesen und Technologie – sind dabei am stärksten betroffen. Auch ist die Kündigungsrate bei Frauen höher als bei Männern.
Warum wechseln die Menschen ihren Job?
Im Verlauf der Pandemie hat sich die Mentalität der Menschen grundlegend geändert. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie waren die Arbeitszeiten in der Marketingbranche lang. Während des Lockdowns waren die Angestellten dabei über lange Zeiträume isoliert und hatten nur noch ihre Arbeit. Die „Glücklichen“ saßen morgens, mittags und abends an ihren Schreibtischen, organisierten Projekte neu und stellten sicher, dass sie mit ihren Teams in Kontakt bleiben. Und da das Ende der Pandemie noch nicht abzusehen ist, überdenken nun viele, was ihnen im Leben wichtig ist und wie die Balance zwischen Arbeit und Privatleben in Zukunft aussehen soll.
Die beruflichen Prioritäten ändern sich. Hybride Arbeitsweisen und der Wunsch nach einer sinnstiftenden Tätigkeit werden für die Arbeitnehmer:innen immer wichtiger. Viele haben aufgrund der hohen Arbeitsbelastung während der Pandemie unter Burnout gelitten oder leiden noch immer darunter und suchen deshalb einen Arbeitgeber, der auch auf ihre psychische Gesundheit Rücksicht nimmt. Einige stellen aber auch fest, dass sie anderswo mehr Geld verdienen können. Vor allem auf den höheren Führungsebenen im Marketing sind die Gehälter in vielen Kategorien über das Niveau vor der Pandemie hinaus gestiegen. Der Markt begünstigt derzeit Arbeitssuchende.
Viele Marketer wünschen sich mehr Flexibilität und überlegen, freiberuflich tätig zu werden. In einer Branche, die für Remote-Arbeiten empfänglich ist und wo die Aufgaben und Spezialisierungen klar aufgeteilt sind, ist das Marketing Freelancern gegenüber sehr offen. Das Wachstum von Plattformen wie UpWork, Fiverr und – in Deutschland – Malt, die es Unternehmen ermöglichen, nach Marketing-Freelancern im ganzen Land und in vielen Fällen in auch weltweit zu suchen, haben die Freiberuflichkeit zu einer noch attraktiveren Option gemacht.
Anthony Klotz, der Texas-Management-Professor, der den Begriff „The Great Resignation“ erfunden hat, kommentierte: „Bei talentierten Personen gibt es eine Menge Bewegung. Die Leute finden Jobs, die ihnen langfristig das richtige Gehalt, die richtigen Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen bieten.“
Die große Resignation als Chance
Natürlich will niemand gute Leute verlieren, aber die Lage ist nicht so schlecht, wie sie scheint. Studien legen nahe, dass die meisten Menschen, die ihren Arbeitsplatz wechseln, die Branche nicht ganz verlassen. Das bedeutet, dass es auf dem Markt neue Talente gibt, die die Unternehmen für sich gewinnen können. Neue Leute bedeuten neue Fähigkeiten, neue Energie und neue Kontakte – genau das, was viele Teams nach den Lockdown-Jahren 2020 und 2021 für einen Neuanfang brauchen.
„The Great Resignation“ bietet daher auch Unternehmen die Chance, zu prüfen, was die wirklichen Prioritäten sind. Wenn Menschen weiterziehen, könnte jetzt ein guter Zeitpunkt sein, die Strategie als Ganzes zu überprüfen. Was ist wichtig für 2022? Und welche Fähigkeiten brauchen wir, um diese Strategie zu verwirklichen? Und: Welche Fähigkeiten sind heute weniger wichtig als früher?
„The Great Resignation“ ist auch eine Gelegenheit, die Art und Weise, wie die Arbeit erledigt wird, zu evaluieren. Es könnte auch ein guter Zeitpunkt sein, um darüber nachzudenken, welche Fähigkeiten man intern bereitstellen sollte und welche am besten an Agenturen oder Freiberufler vergeben werden können. Die Antworten sind natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich und hängen weitgehend davon ab, wie zentralisiert die Marketingfunktion sein muss und ob es nicht vielleicht sinnvoller wäre, Kompetenzen von externen Quellen einzukaufen.
Wenn deine besten Mitarbeiter:innen mit dem Gedanken spielen, das Unternehmen zu verlassen, ist dies also eine gute Gelegenheit, die Gründe dafür zu erfragen und eine Strategie zu entwickeln, die dies in Zukunft verhindert. Damit könnte nicht nur ein Massenexodus verhindert werden, sondern auch die Arbeitgebermarke gestärkt werden, was sich bei Neueinstellungen auszahlen sollte.
Die nächsten Schritte
Wenn ein Unternehmen ein Problem mit der Mitarbeiterbindung hat oder befürchtet, dass wichtige Mitarbeiter:innen gehen wollen, sollte sie zunächst die Gründe dafür herauszufinden. Als Ausgangspunkt sollten Faktoren wie Vergütung, Zeit zwischen Beförderungen, Höhe der Gehaltserhöhungen und Weiterbildungsmöglichkeiten untersucht werden. Anhand dieser Analyse kann nicht nur festgestellt werden, bei welchen Angestellten das Risiko einer Kündigung am größten ist, sondern auch, welche Menschen durch gezielte Maßnahmen wahrscheinlich gehalten werden können. In informellen Einzelgesprächen und in Online-Personalumfrage können zudem Erkenntnisse über die allgemeine Mitarbeiterzufriedenheit gewonnen werden.
Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchung ist der nächste Schritt die Einführung eines Programms zur Bindung der besten Talente und zur Anwerbung von Mitarbeitern mit dringend benötigten Fähigkeiten. Dies kann Folgendes umfassen:
Schaffe einen Arbeitsplatz, an dem sich deine Leute wohlfühlen:
Hier geht es um mehr als nur darum, den Mitarbeiter:innen kostenloses Obst anzubieten; Sie müssen das Gefühl haben, dass sie an einem Ort sind, an dem sie bleiben und sich ansiedeln wollen. Deshalb sollte ein wettbewerbsfähiges Vergütungspaket angeboten werden, das Prämien, zusätzliche bezahlte Auszeiten wie Sabbaticals und flexible Arbeitszeiten (einige Unternehmen haben sogar begonnen, mit der 4-Tage-Woche zu experimentieren) umfasst. Nicht vergessen werden sollte, die Menschen, die treu geblieben sind, zu belohnen. Ein „Loyalitätsbonus“ für bestehende Angestellten hat bereits vielen Unternehmen geholfen, ihre treuen Talente zu belohnen und anzuerkennen.
Unterstütze Remote- und Hybrid-Mitarbeit:
Remote- und Hybrid-Mitarbeiter benötigen zusätzliche Unterstützung, um mit den Realitäten unterschiedlicher und wechselnder Arbeitsorte und -umgebungen zurechtzukommen. In der Vergangenheit reichte es aus, gelegentlich teambildende Aktivitäten und Veranstaltungen außerhalb des Unternehmens durchzuführen. Heute sollten Manager, Vorgesetzte und Führungskräfte ihren Teammitgliedern nicht nur helfen, sich als Teil des Teams zu fühlen, sondern sie auch bei der Erhaltung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit unterstützen.
Verbessere die berufliche Weiterbildung:
Die Möglichkeit, zu lernen und sich weiterzuentwickeln, gehört zu den wichtigsten Eigenschaften, die Arbeitssuchende von einem Arbeitgeber erwarten. Da sich das Marketing so schnell verändert, ist ständiges Lernen von entscheidender Bedeutung, sei es durch Online-Kurse, Universitätsprogramme, Jobrotation innerhalb und außerhalb des Marketings und „Lunch n‘ Learns“, um nur einige Beispiele zu nennen. Befördere Arbeitskräfte direkt aus dem Unternehmen, wenn möglich.
Gib allen Jobs einen Sinn:
Es gibt eine bekannte Geschichte über eine Reinigungskraft bei der NASA, die auf die Frage von JFK, was ihre Aufgabe sei, antwortete: „Ich helfe dabei, einen Mann auf den Mond zu bringen“. Verknüpfe die Aufgabe eines jeden Mitarbeiters mit dem zentralen Ziel des Unternehmens und stelle sicher, dass er weiß, wie er zum großen Ganzen beiträgt. Kommuniziere, wie dein Unternehmen und seine Produkte der Welt helfen. Falls diese Bedeutung fehlt, benötigt das Unternehmen verstärkt einen echten Purpose oder eine neue langfristige Ausrichtung.
Gehe aktiv gegen Burnout vor:
Kluge Führungskräfte investieren in Dienstleistungen, die ihrem Personal helfen, Stress und die Gefahr eines Burnouts zu reduzieren, z. B. Wellness-Programme wie Achtsamkeit und erweiterte Angebote für psychische Gesundheit und Therapie.
Lange Rede kurzer Sinn
Die Pandemie hat viele Menschen dazu gezwungen, ihre Prioritäten zu überdenken. Die Menschen suchen jetzt nach einem Job, der es ihnen ermöglicht, neue Fähigkeiten zu erlernen, der sich mit ihrem Privatleben vereinbaren lässt und ihnen einen Sinn gibt. Anstatt die “Great Resignation“ als Gefahr zu betrachten, sollten Marketingverantwortliche sie als Chance begreifen, ihre Teams mit neuen Kompetenzen auszustatten und ihre besten Talente zu fördern.