Ein möglichst hoher Return on Investment (ROI) muss das Ziel eines jeden Marketingentscheiders sein, oder? Dass diese Kennzahl aber wirklich das Maß aller Marketingdinge ist, bezweifeln mittlerweile viele Branchenexperten. Wir werfen einen Blick auf die Argumente.
Der ROI lässt sich recht einfach berechnen:
Byron Sharp, Direktor des Ehrenberg-Bass Institute in Australien, des weltweit größten Instituts für Marketingforschung, erklärt in seinem Standardwerk „Marketing: Theory, Evidence, Practice“ () auch an einem einfachen Beispiel, warum es erst einmal logisch klingt, die Performance verschiedener Kampagnen mithilfe des ROI zu vergleichen:
„Wer 100.000 Dollar in zusätzliche Werbung für sein Produkt investiert und dadurch 110.000 Dollar mehr Verkaufserlös erzielt, hat einen Return von 10 Prozent. Für jeden investierten Dollar bekommt er 1,10 Dollar zurück.“
Jedoch bezeichnet Byron Sharp den ROI in einem Tweet 2015 auch als „silly metric that can send you broke“. Kritik an diesem Key Performance Indicator (KPI) wurde aber schon viel früher laut: In einem viel beachteten Artikel aus dem Jahr 2004 fordert der britische Marketingwissenschaftler Tim Ambler die Werbetreibenden dazu auf, doch lieber Gewinne als den ROI zu maximieren: „ROI is dead: now bury it.“
Und auch Les Binet, Head of Effectiveness der Londoner Werbeagentur adam&eveDDB, machte in einem Vortrag in Prag auf die Schwächen des ROI aufmerksam:
„Der effizienteste Weg, sein Geschäft zu betreiben, ist pleitezugehen … Wer nichts ausgibt, hat einen grenzenlosen Return on Investment.“
Nachfolgend beleuchten wir die Kritik an dem ROI:
Problem Nr. 1: Der ROI sagt nichts über die tatsächlichen Gewinne aus
Experten erklären, dass der ROI eben nur eine Relation wiedergibt und nichts über den tatsächlichen Profit einer Kampagne aussagt: Eine kleine Kampagne mit einem hohen ROI kann deutlich weniger Geld in die Kassen spülen als eine größere Kampagne mit einem niedrigerem ROI.
So lässt der Vergleich verschiedener Marketingstrategien anhand ihrer ROIs unwillkürlich kleinere Kampagnen vorteilhaft erscheinen – oder er führt zur Kürzung von Werbeausgaben mit dem Ziel, den ROI zu maximieren. In der Praxis stammten die höchsten ROIs von kleinen Budgets, resümieren Binet und seine Kollegin Sarah Carter in ihrem Buch „How (not) to plan“. Tatsächlich erbringt ein niedrigerer ROI aber häufig einen höheren absoluten Zusatzgewinn.
Problem Nr. 2: Der ROI begünstigt günstigere Kanäle mit schnellen Verkaufserfolgen
In der Praxis gilt die Faustregel: Je kleiner das Medium, umso höher der ROI. Wer diese Kennzahl in den Mittelpunkt seiner Mediastrategie stellt, kürzt also nicht nur Budgets, sondern schichtet auch in günstigere Kanäle um. Vor allem Online profitiert davon: Hier lassen sich mit kleinen Budgets schnell Verkaufserfolge nachweisen.
Teurere Medien werden dadurch ausgeschlossen, selbst wenn sie positive langfristige Auswirkungen auf die Marke nachweisen können, weil sie beispielsweise eine viel größere Reichweite haben.
Kleine Medien stoßen in dieser Hinsicht jedoch schneller an ihre Grenzen. So können zum Beispiel Onlinevideo- und Suchmaschinenwerbung bereits bei niedrigem Investment hohe Zusatzgewinne generieren, durch mehr Ausgaben lässt sich der Profit aber kaum noch steigern. Neben der Reichweite ist auch die Wirkung begrenzt, oft ist es auch gar nicht möglich, so viel Werbegeld in einem kleinen Medium zu platzieren, wie notwendig wäre, um den Profit weiter zu erhöhen.
Problem Nr. 3: Die Abhängigkeit vom Investment
In ihrer Studie „Profit Ability – the business case for advertising“ haben Experten von der TV-Gattungsinitiative Thinkbox festgestellt, dass „der einfachste Weg, den ROI zu verbessern, ist, das Investment zu reduzieren“.
Dabei entwickelt sich der ROI nicht linear und auch nicht konstant. Wer den Einsatz verdoppelt, bekommt nicht das Doppelte heraus. Irgendwann flacht die Kurve ab, ihr Verlauf sieht bei jedem Medium anders aus. Man kann also hohe ROIs erzielen, solange man wenig investiert. Gibt man mehr aus, sinkt der ROI und kippt unter Umständen sogar ins Negative – man bezahlt mehr als man gewinnt.
Problem Nr. 4: Wachstum braucht Reichweite
Wer kurzfristig hohe ROIs will, setzt typischerweise auf Aktivierungskampagnen mit kleinen Budgets und engem Targeting. Wie die Arbeiten von Sharp und dem australischen Ehrenberg-Bass Institute gezeigt haben, ernten diese Kampagnen zuerst die „low-hanging fruit“ – sie aktivieren Käufer, die die Marke zum Zeitpunkt der Ansprache sowieso bereits „auf dem Schirm“ haben. Die ersten paar Euro, die man ausgibt, sind immer die effizientesten, denn sie greifen die am einfachsten zu erreichenden Kunden ab. Wer nachhaltig wachsen will, braucht aber Reichweite.
Byron Sharp hat gezeigt, dass der Ausbau der Käuferreichweite der Schlüssel zu Markenwachstum ist. Wer langfristig erfolgreich sein will, muss über eine möglichst breite Ansprache auch diejenigen erreichen, die die Marke selten oder gar nicht kaufen. Der ROI fördere Kampagnen, die unmittelbar Erfolge zeigen und auf Bestandskunden abzielen, die ein Produkt wahrscheinlich sowieso gekauft hätten, schreibt der Stratege in „Marketing: Theory, Evidence, Practice“.
Fazit
Viele Marketing-Experte sind sich mittlerweile einig: der ROI sei ein wichtiges Maß, allerdings basierten zu viele Marketingentscheidungen auf seiner selektiven oder vereinfachten Anwendung. Der ROI sagt nichts über den Gewinn aus, belohnt billigere Kanäle und Kampagnen, die schnelle Erfolge liefern, und vernachlässigt die Reichweite, die Marken für langfristiges Wachstum benötigen. Es ist also Zeit, dass der ROI keine Brands mehr ruiniert – und Zeit, dass Marketer ein neues Maß für Erfolg in der Branche entwickeln.
Dieser Text ist eine Zusammenfassung von einem Blogbeitrag, der bei „Out of the Box“ erschienen ist. Hier geht es zu dem Originaltext.