Intel zählt nicht nur zu den zahlreichen Vorreitern in Sachen Tech, sondern auch in Sachen Management. Das bewies der Ingenieur und CEO Andrew Grove, indem er schon Mitte der 1970er-Jahre OKR entwarf. Eine Zielmanagement-Methode, die der modernen Wirtschaft mit ihrem schon damals stetigen Wachstums- und Innovationsdrang gewachsen war. Das Konzept stellte sich als so erfolgreich heraus, dass es der Suchmaschinen- und Tech-Pionier Google im Jahr 1999 adaptierte und bis heute weiter nutzt. Bei den US-amerikanischen Konzernen handelt es sich aber nicht um die einzigen Organisationen, bei denen OKR zum Einsatz kommt, um ehrgeizige Ziele zu verfolgen. Wir haben einen genaueren Blick auf die spezielle Methodik und deren Besonderheiten geworfen.
Was ist OKR?
Das Akronym OKR steht für „Objectives and Key Results“ und soll ein effektives Führungsgerüst darstellen, mit dem sich leicht verständliche Unternehmensziele festlegen, kommunizieren und schließlich umsetzen lassen. Gleichzeitig werden Meilensteine abgesteckt, die erforderlich sind, um diese Ziele zu erreichen. Ein simpler Aufbau dieses Zielmanagements sieht zwei Ebenen vor:
1. Objective (Ziel): Zustände, die ein Unternehmen, eine Abteilung oder ein Team in der Zukunft erreichen möchte. Es wird eine klare Richtung vorgegeben, die dorthin führen soll. Höchstens drei bis fünf Ziele sollen festgelegt werden, damit alle Beteiligten wissen, wo die Reise innerhalb eines spezifischen Zeitraums hingeht.
2. Key Results (Kernergebnisse): Wiederum drei bis fünf messbare Ergebnisse bzw. Erfolgsfaktoren, die für die Erfüllung des Ziels erforderlich sind. Sie können eine Kennzahl für einen Start- und einen Zielwert enthalten. Auf diese Weise misst die Belegschaft den Fortschritt auf dem Weg zum Ziel.
Flexibler, demokratischer Zielfindungsprozess
Das klingt erst einmal nicht sonderlich kompliziert. Die Besonderheit besteht jedoch darin, dass Mitarbeiter:innen die Möglichkeit haben, Input zu geben. Die Führungsebene bestimmt eine allgemeine Vision oder Mission für das Unternehmen, aus der sich die Unternehmensziele und Kernergebnisse herleiten lassen.
Die Ziele werden aber nicht einfach nach unten weitergegeben, wo sie im Laufe des Geschäftsalltags verwässern und an Bedeutung verlieren. Stattdessen beteiligen sich alle Angestellte am Zielfindungsprozess und können beispielsweise im Zuge eines OKR-Teamworkshops ihre Prioritäten äußern und somit die Ziele ihres Teams oder ihrer Abteilung mitgestalten.
Das beeinflusst die Unternehmenskultur in besonderer Weise und erzeugt einen positiven psychologischen Nebeneffekt: Mitarbeiter:innen fühlen sich gehört, außerdem dürfen sie ihr Fachwissen und ihre Kompetenz mit einbringen. Sie sind in der Lage, die Richtung des Unternehmens mitzubestimmen, was wiederum Motivation, Engagement und mehr Transparenz fördert.
Je nachdem, wie groß die Organisation ist und wie umfassend die Methodik angewandt wird, entstehen auf diese Weise Dialoge, Abstimmungen und Verhandlungen auf mehreren Ebenen:
· Zwischen Mitarbeiter:innen und Team- oder Abteilungsleiter:innen
· Zwischen Abteilungsleiter:innen und Führungsebene
· Zwischen Führungsebene und oberstem Management
Dieser Prozess findet in der Regel nicht nur einmal im Jahr statt, sondern zu Beginn eines jeden Quartals. Das bedeutet, dass das jeweilige Unternehmen seine Ziele nicht in Stein meißelt. Vielmehr werden sie regelmäßig aktualisiert und ggf. äußeren, sich ändernden Prioritäten, Umweltfaktoren und Marktbedingungen angepasst.
Insbesondere im Online-Marketing hat OKR an Popularität gewonnen. Die stets wachsende und sich konstant wandelnde Branche überrascht schließlich ständig mit neuen Tools, Plattformen und sich weiterentwickelten Algorithmen. Die Methode der straffen, relativ kurzfristigen Zielsetzungen und exakten Erfolgsmessungen scheint sich bestens zu eignen, um z. B. die Anzahl des organischen Traffics auf einer Website zu erhöhen, neue Follower auf Social Media zu gewinnen oder neue Marketing-Strategien auszuprobieren und deren Effektivität zu testen.
Der Wandel zum OKR-System gestaltet sich aber nicht immer problemlos. Sogenannte „Botschafter:innen“ oder externe Coaches sind deswegen wichtig, die innerhalb des Unternehmens für die Anwendung von OKR sowie für die Einbindung und Schulung des Personals verantwortlich sind. Es handelt sich schließlich um einen Lernprozess, der insbesondere für Betriebe mit einer alteingesessenen Unternehmenskultur einen grundlegenden Wandel mit sich bringt und über lange Zeit etablierte Denkweisen über den Arbeitsplatz verändern muss.
OKR-Beispiele: Der trivago-Adaptionsprozess
Mittlerweile verwenden nicht nur Silicon-Valley-Größen wie Google, Intel, Twitter, LinkedIn oder Uber u.v.m. die OKR-Methode. Das Zielmanagementprogramm fand auch seinen Weg nach Deutschland. Hierzulande scheinen sich insbesondere Start-ups bzw. Jungunternehmen mit der Methodik anzufreunden.
Hierzu gehört die 2005 gegründete Hotel-Metasuchmaschine trivago. Das Unternehmen verwendete schon vor der OKR-Implementierung agile Projekt- und Change-Management-Methoden wie Scrum und Kanban. Der Wunsch nach einem Bottom-up bzw. Outcome-basierten Arbeitsprozess kam aber nicht von der Führungsebene, sondern wurde, ganz im Sinne von OKR, von den Teams und Mitarbeiter:innen selbst geäußert. Der Übergang gestaltete sich dennoch nicht ganz einfach und war mit diversen Herausforderungen verbunden, die kleine Anpassungen von Details der OKR-Struktur erforderten.
Den einzelnen Teams mussten mehr Freiheiten als gewohnt zugestanden werden, damit diese ihre Ziele auf individuelle Weise erreichen können. Darüber hinaus nahm es viel Zeit in Anspruch, bis die OKR-Methode in Fleisch und Blut überging, damit die Teams ihre OKRs zwischendurch nicht aus den Augen verlieren. Auch wenn es eine Menge Anstrengung kostete, entwickelte sich über einen gewissen Zeitraum eine Art organische Beziehung zum neuen Management-Stil und die Frage nach OKRs sowie deren Anpassungen ließen sich mit bereits etablierten Gewohnheiten verknüpfen.
OKR-Kritik: Stagnation und Konkurrenz statt Agilität
Jan Hegewald, Director of Engineering bei Zalando und Betreiber des Blogs agil-geführt.de, sieht die OKR-Methode jedoch weitaus kritischer. Seiner Ansicht nach lassen sich übergeordnete Unternehmensvisionen und -ziele einfach formulieren. Gerade weil diese Visionen sehr allgemein gehalten werden, ordnen sich die individuellen Ziele der einzelnen Abteilungen leicht unter.
Kompliziert wird es, wenn die kleineren Einheiten und ihre Ideen auf andere Teams desselben Unternehmens angewiesen sind. Diese anderen Teams möchten wiederum ihre eigenen Ziele entwickeln und benötigen dafür wieder die Hilfe von anderen Abteilungen usw. Hierdurch potenziert sich schnell der Aufwand, der allein in die OKR-Meetings investiert wird, ohne dass die Abteilungen und letztendlich das Gesamtunternehmen jedes dieser Ziele berücksichtigen kann.
Gelegentlich lassen Einheiten alte Ziele einfach liegen, um sich um die neuen OKR-Objectives eines neuen Zyklus zu kümmern. Die alten Ideen, in denen bereits viel Arbeit steckt, werden später aber nicht fortgesetzt. Größere Pläne kann ein Unternehmen innerhalb eines festgelegten OKR-Zyklus oftmals ebenfalls nicht realisieren. Je größer das Unternehmen und je mehr Abteilungen vorhanden sind, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit dieser Ideenkonkurrenz. Dies führt, laut Hegelwald, letztendlich nicht zu Agilität, sondern zur Stagnation.
OKR – Fazit:
Stellen die „Objectives and Key Results” also ein universelles Erfolgsrezept dar? Sicherlich nicht für jedes Unternehmen. Ein transparentes Zielmanagement, das für eine Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Angestellten, Teamleiter:innen und Top Management sorgt, hört sich zunächst vielversprechend an. Eine gemeinsame Zielgestaltung, die alle Beteiligten stärker mit einbindet sowie für mehr Engagement und Motivation sorgt, klingt ebenfalls reizvoll. Je größer die jeweilige Organisation ausfällt und je mehr individuelle Abteilungen ihre Ideen umsetzen möchten, desto mehr Konfliktpotenzial scheint jedoch zu entstehen.