Die noch relativ junge Disziplin des Neuromarketings entstand um das Jahr 2002 herum, lässt sich aber nicht auf eine Person zurückführen. Stattdessen prägten US-Marketingfirmen wie BrightHouse und SalesBrain den Begriff und gehörten zu den ersten, die entsprechende Beratungsdienstleistungen anboten.
Neuromarketing nutzt Methoden der Neurowissenschaften und untersucht, wie das Gehirn auf verschiedene Werbe- bzw. Marketingreize reagiert. Ihr Ziel: Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen sich Marken sowohl durch Werbemaßnahmen als auch durch die Produkt- und Verpackungsgestaltung fördern lassen. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums von Neuromarketing werfen wir einen genaueren Blick auf dieses Fachgebiet.
Die Messverfahren des Neuromarketings
Um ein tieferes Verständnis für das Verhalten von Verbraucher:innen zu gewinnen und zu erfahren, was sie zum Kauf motiviert, werden physiologische und Gehirnaktivitäten gemessen. Hierzu kommen Instrumente wie das Brain-Computer-Interface (BCI) zum Einsatz, das Informationen aus dem zentralen Nervensystem an ein externes Gerät sendet. Die Elektroenzephalografie (EEG) stellt z.B. eine Form dieser Schnittstelle dar, die häufig in der Neuromarketingforschung genutzt wird, um die Aktivität des Gehirns und die Gemütslage einer Testperson zu messen. Die Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht dagegen den Blutfluss im Gehirn und damit die Aktivitäten bestimmter Hirnregionen. Etwas weniger invasive Verfahren sind beispielsweise die Beobachtung der Gesichtsmuskeln, die Schweißproduktion und damit die Hautleitfähigkeit sowie das Eye-Tracking. Mit Letzterem lässt sich feststellen, welche Elemente Aufmerksamkeit etwa auf einer Website oder in einem Werbespot erregen.
Experimente und Studien – gestern und heute
Eines der berühmtesten Experimente in diesem Gebiet führten zwei Hirnforscher:innen des Baylor College of Medicine im Jahr 2004 durch. Hierbei stellte sich heraus, dass Testpersonen die Marke Coca-Cola bevorzugen, obwohl ihnen nachweislich das Getränk Pepsi besser schmeckte. Das Experiment kam zu dem Ergebnis, dass verschiedene unverwechselbare Attribute der Coca-Cola-Marke zur Steigerung des Selbstwertgefühls, zur Aktivierung von Erinnerungen im Hippocampus und zu emotionalen Reaktionen im dorsolateralen präfrontalen Kortex führten. Ein Zusammenspiel, das einen kognitiven Zerr-Effekt hervorrief und Coca-Cola zu einem reizvolleren Getränk machte, obwohl es keine objektiven Gründe für diese Überlegenheit gab.
Im Feld des Neuromarketings wird auch heute weitergeforscht. Ein spanisches Team fand beispielsweise mittels Eye-Tracking heraus, dass das Design einer Website eine wichtige Rolle bei der Wirksamkeit einer Werbeanzeige spielt und dass sogar die angebotenen Zahlungsmethoden für ein Produkt oder eine Dienstleistung positive oder negative Emotionen hervorrufen können.
Die Forscher:innen Simone Kühn, Enrique Strelow und Jürgen Gallinat stellten mit ihrer Studie fest, dass Schokoladenwerbung, die eine starke Hirnaktivität stimuliert, besser den Erfolg einer Schokoladenmarke voraussagen kann als eine simple Befragung von Testpersonen.
Aufgrund ihrer Popularität untersuchte die BBC iMotions, Screen Engine/ASI die Wirkung von weiblichen und männlichen Superheld:innen auf junge Mädchen. Sie fanden anhand der körperlichen Reaktionen, Mimik und visuellen Aufmerksamkeit heraus, dass heranwachsende Mädchen wesentlich positiver auf starke Held:innen reagieren als auf ihre männlichen Pendants. Geschichten und deren Hauptfiguren inspirieren also jede Publikumsart auf unterschiedliche Art und Weise.
Umstrittenes, interessantes Feld mit Zukunftsperspektive
Hierbei handelt es sich lediglich um einige wenige Beispiele von Studien, die diverse Medien, Marken, Produkte, Dienstleistungen und deren Wirkung erforschen. Die Genauigkeit und Richtigkeit mancher Ergebnisse sowie die moralischen Implikationen dieses Forschungszweiges sind seit dessen Beginn umstritten. Inwieweit Menschen durch Marketing zu bestimmten Handlungen bewegt werden dürfen und wo die Grenze zur Manipulation beginnt, stellt keine neue Frage dar. Trotzdem sehen Wissenschaftler wie Dan Ariely, Psychologieprofessor an der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina, ein enormes Potenzial im Neuromarketing. Er ist der Ansicht, dass Marketing-Abteilungen eines Tages in der Lage sein könnten, die Denkweisen von Menschen zu messen und die Schritte vorauszusehen, die zu ihren Kaufentscheidungen führen.
Eine wachsende Anzahl von kleinen und mittleren US-Unternehmen scheinen diese Ansicht zu teilen. Startups wie NeuroFocus, Spark Neuro, Immotions und Immersion Neuro erforschen nicht nur das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und Alzheimer, sondern setzen auch neue Formen von Gehirnscannern und smarte Alltagsgeräte wie Smartphones und Smartwatches ein, um die Umsätze großer Konzerne zu steigern.
SevenOne Media forscht mit
SevenOne Media ist in diesem Bereich ebenfalls aktiv und führt seit 13 Jahren regelmäßig sogenannte Spottests mit Befragungen von Testpersonen durch, um die Wirkung unterschiedlicher Werbespots zu untersuchen. Hinzu kommt in Kooperation mit Facit Research das Steady-State-Topography-Verfahren (SST) – eine Weiterentwicklung der EEG-Messung, welche elektrische Spannungsveränderungen in den Köpfen von Proband:innen misst. Hieran lässt sich erkennen, welche Arten von Werbebotschaften eine persönliche Relevanz haben, emotionale Reaktionen auslösen und schließlich Einzug ins Langzeitgedächtnis des Publikums halten. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass Testpersonen Informationen besser im Langzeitgedächtnis abspeichern, die in Form einer kohärenten und humorvollen Erzählung überliefert werden.
Ferner sollten Branding und das beworbene Produkt nicht erst am Ende des Werbespots erscheinen, weil das Publikum zu diesem Zeitpunkt schon wieder mental aus der Geschichte aussteigt. Stattdessen ist es ratsam, Branding und das beworbene Produkt in den gesamten Verlauf der Story organisch und authentisch einzuflechten. Eine passende musikalische Untermalung trägt zudem eine entscheidende emotionale Komponente zum Geschehen bei und ein einschlägiger Slogan bleibt eher in Erinnerung als Werbespots ohne diese Elemente. Musikvideoähnliche Werbespots mit einem schnellen Schnitt sorgen zwar für Aufregung und Spannung, bleiben aber für einen geringeren Zeitraum im Langzeitgedächtnis verankert.
Sogar in der schönen neuen Medienwelt, in der die Parallelnutzung von mehreren verschiedenen Endgeräten an der Tagesordnung ist, kann laut einer Studie von concept m und eyesquare eine kreativ gestaltete Werbebotschaft auf dem Fernsehschirm die Zuschauer:innen erreichen. Einschlägige auditive Elemente wie ein prägnantes Musikstück oder eine markante menschliche Stimme können z.B. die Aufmerksamkeit des Publikums vom Smartphone oder Tablet wieder auf den Fernsehbildschirm lenken. Das ist insofern wünschenswert, da die Bewegtbildwerbung auf dem Fernseher eine effektivere Wirkung entfaltet als auf einer sozialen Plattform, wie die SevenOne Media Medienäquivalenzstudie beweist. Der Grund: Beim linearen Fernsehen nimmt das Publikum eine entspannte, aufnahmefähigere Haltung ein, während Video-on-Demand-Dienste und das Internet mehr Engagement verlangen.
Fazit
Trotz vieler spannender Ergebnisse steckt das Neuromarketing-Feld weiterhin in den Kinderschuhen. Wichtig ist es, in Erinnerung zu halten, dass sich aus den diversen Erkenntnissen noch keine Universalformel ergibt, mit der sich der ultimative verkaufsstarke Werbespot entwickeln lässt. Aus den zahlreichen Studien, Experimenten, Messungen und Beobachtung kommen jedoch wichtige und interessante Anhaltspunkte zustande, wie Marketing-Abteilungen Werbung kreativer gestalten und noch effektiver in den unterschiedlichen Medienformen platzieren können.