Wollten Verbraucher vor zehn Jahren zeigen, dass sie sich um die Umwelt sorgen, reichte es aus, Vegetarier zu werden. Heutzutage gehen viele noch einen Schritt weiter und versuchen, bewusster zu leben. Den Konsumenten ist es wichtig, dass die gekauften Produkte ethisch und nachhaltig produziert werden. Das Marketing-Potenzial ist für Marken auf diesem Gebiet riesig, aber es ist auch Vorsicht geboten – The Restless CMO erklärt warum.
Die Zahlen sprechen für sich
Der Markt für nachhaltige Marken hat in den letzten Jahren stark zugenommen. 2016 verzeichnete die IFH Köln ein durchschnittliches jährliches Umsatzwachstum von fast 17 Prozent bei vegetarischen und veganen Lebensmitteln in Deutschland. Zwischen 2014 und 2015 konnte sogar ein Umsatzwachstum von über 25 Prozent festgestellt werden. Im vergangenen Jahr gab Unilever bekannt, dass seine nachhaltigen Marken – darunter Hellmann’s, Ben & Jerry’s und Dove – im Jahr 2016 mehr als 60 Prozent des Unternehmenswachstums erzielten. Bereits 2015 erklärte der Verlag Naturkosmetik, dass in Deutschland mehr als 1,1 Milliarden Euro für Naturkosmetik ausgegeben wurden und bis 2019 eine jährliche Wachstumsrate von rund 10 Prozent erwartet wird.
Wen spricht Nachhaltig vor allem an?
Nachhaltigkeit spricht besonders das jüngere Publikum, die Millanials, an – und hier vor allem wenn es um die Themen Ernährung und gesundes Lebens geht – die weiblichen Konsumenten. Die Statistiken der aktuellen britischen Wohltätigkeitskampagne Veganuary zeigen dies eindrucksvoll: 84 Prozent der diesjährigen Teilnehmer waren weiblich, 60 Prozent waren jünger als 35 Jahre. Diese Zahlen stimmen auch mit dem Engagement veganer Vlogger auf YouTube überein: Statistiken von Tubular zeigen, dass die Kernzielgruppe auf YouTube, die sich mit veganen Inhalten beschäftigt, Frauen im Alter von 18-26 Jahren sind (36 Prozent aller Engagements weltweit). Die Naturkosmetikmarke Colibri Cosmetics kündigte daher kürzlich eine Zusammenarbeit mit der Tierrechtsorganisation PeTA an: CEO Rony Riola will dadurch „eine Bewegung, an die wir glauben, unterstützen, sowie unsere Kernzielgruppe erreichen“. Jörn Marc Vogler, Mitgründer des naturreinen Nahrungsergänzungsmittels Veluvia, verweist beim Trend „Bewussten Leben“ vor allem auf Deutschland als besonders fruchtbaren Boden. Die deutsche Bevölkerung habe im Vergleich zu anderen Ländern stets historisch niedrige Preise für Lebensmittel gezahlt. Nachdem Lebensmittelskandale und Berichte über Tierquälerei ans Licht kamen, begannen vor allem die deutschen Konsumenten, die Qualität ihrer Einkäufe in Frage zu stellen. „Die deutsche Bevölkerung begann sich zu fragen, warum sie für Motoröl mehr bezahlte als für Salatöl“, sagt Vogler.
Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen
Bewusster Konsum kommt nicht nur dem Planeten zugute, sondern auch den langfristigen Beziehungen der Marke zu ihren Kunden. Im Wissen darum, dass ihre Zielgruppe an Nachhaltigkeit interessiert ist, stellte die hochwertige Outdoor-Marke Patagonia ihre ethischen Werte stets authentisch in den Vordergrund ihrer Marketingstrategie. Am Black Friday 2011 warb Patagonia mit Folgender Message: „Don’t buy this jacket“. Die Anzeige drehte sich um die Kosten für die Umwelt bei der Herstellung der Jacken. Patagonia bat die Kunden, sich für ein gebrauchtes Patagonia-Produkt zu entscheiden. „Hinter seiner ungewöhnlichen Marketing-Taktik steht der Wunsch, durch gemeinsame Erfahrungen, Überzeugungen und Werte langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen“, meint Craig Wilson, Patagonias ehemaliger Leiter für Verbraucher-Marketing.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb konnte das Unternehmen seinen Umsatz im Jahr 2012 um etwa 30 Prozent auf 543 Millionen Dollar steigern. Weiteres Wachstum in Höhe von sechs Prozent folgte im Jahr 2013.
Es geht nicht nur ums Etikett
Aber Vorsicht: Mit der Vermarktung der eigenen Marke als besonders ethisch vertretbar begeben sich Unternehmen schnell auf die Ebene höherer moralischer Standards. Bei solch hohen Standards kann es gelegentlich vorkommen, dass diese von Unternehmen doch mal unterschritten werden. Ein Shitstorm ist dann quasi schon vorprogrammiert. Starbucks ist ein Beispiel für solch einen Fall: Das Unternehmen kann viele Zertifikate vorweisen, die seine Nachhaltigkeit bescheinigen und kommunizierte dies auch immer wieder lautstark über alle Marketing-Kanäle. Als aber Vorwürfe in Bezug auf Steuervermeidung aufkamen, stellten viele Kunden die wahren ethischen Qualitäten des Unternehmens in Frage.
Ein weiteres Beispiel bietet die Bank Co-op. Hier gab es in Großbritannien ein großes Presse-Spektakel als herauskam, dass ein ehemaliger Vorsitzender der ethischen Bank Drogen nahm und von Arbeit aus sexuell anzügliche E-Mails verschickte. Solche Vorfälle bedeuten natürlich für jedes Unternehmen schlechte Publicity – aber umso mehr für solche, die sich mit Fairness und Ehrlichkeit rühmen.
Den bewussten Konsumenten erreichen – lohnt sich das?
„Absolut“, meint Colibri CEO Riola: „Das ganze ist eine wachsende Bewegung, so dass unser Produkt perfekt in den Zeitgeist passt. Es erlaubt uns, unsere Überzeugungen und Leidenschaften mit gesteigerten Umsätzen zu verbinden – ein doppelter Gewinn also!“
Außerdem deutet einiges darauf hin, dass bewusste Verbraucher weniger preissensibel zu sein scheinen. Studien haben gezeigt, dass die Verbraucher bereit sind, für nachhaltige Produkte wie zum Beispiel fair gehandelten Kaffee, etwas mehr zu bezahlen. Im Bereich Hautpflege erklärt Lorena Marcella Mastrobattista, Marketing Manager bei Colibri, dass die Preisgestaltung für den Kundenstamm von Colibri relativ irrelevant ist, da viele Käufer für eine qualitativ hochwertige Naturkosmetikmarke sogar doppelt zahlen würden.
Während Meinungsmacher wie Katrina Fox in ihrem Beitrag für Forbes den zunehmend vegan-freundlichen Markt für Startups hervorheben, stehen viele dem Label etwas kritischer gegenüber: „Nur etwa 1 Prozent der deutschen Bevölkerung ist vegan, daher ist das Thema für mich doch etwas überbewertet“, sagt Vogler von Veluvia. „Außerdem bedeutet vegan schlicht und einfach kein Fleisch und keine Molkerei – es zeugt nicht von der Qualität eines Produktes.“
„Die Rügenwalder Mühle hat zum Beispiel eine vegetarische Produktlinie. Ich möchte nicht einmal daran denken, wie viele Chemikalien und Zusatzstoffe in diesen Produkten enthalten sind.“