Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen ist im vergangenen Jahrzehnt um knapp 70 Prozent gestiegen. Kamen die Menschen früher am Arbeitsplatz an die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit, ist im 21. Jahrhundert die psychische Belastung die größte Gefahr. Anhaltender Leistungsdruck, komplexere Aufgaben und die ständige Präsenz durch digitale Kommunikation führen schnell zu Überforderung und Erschöpfung. Dazu kommt, dass Betroffene oft allein gelassen werden, denn Mental Health ist im Business immer noch ein Tabuthema. Doch die Förderung mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz ist kein Nice-to-have mehr, sondern eine Notwendigkeit für Unternehmen. Erfolgreiche Führungskräfte setzen sich mit dem Thema Mental Health in Unternehmen auseinander und sorgen mit präventiven Maßnahmen für ein gesundes Arbeitsumfeld.
Warum Mental Health relevant für den Erfolg eines Unternehmens ist
Spricht man von Mental Health, ist nicht nur die Abwesenheit psychischer Erkrankungen gemeint, sondern ganz allgemein das Wohlbefinden eines Menschen und die Fähigkeit, erfolgreich und produktiv am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die New Work Bewegung hat den Fokus weg von der reinen Karriere hin zum sinnhaften Arbeiten verschoben, denn im Alltag sind die Grenzen zwischen Privatleben und Arbeitswelt mittlerweile fließend. Erfolgreiche Leader:innen müssen sich heute mit Achtsamkeit, Mindfulness und Mental Health in Unternehmen auseinandersetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn wenn die Mitarbeiter:innen mit mentalen Problemen kämpfen, hat das Auswirkungen auf den Erfolg des Unternehmens.
Wer mental nicht voll einsatzfähig ist, kann seine Bestleistung nicht abrufen. Der Arbeitsalltag erfordert Konzentration und Belastbarkeit, damit berufliche Herausforderungen mit Kreativität gemeistert werden. Ist die mentale Gesundheit beeinträchtigt, wirkt sich das direkt auf die Produktivität aus. Dazu kommen Kommunikationsprobleme, schwache Entscheidungsfindung, Demotivation und reduzierte Stressresistenz. Ein Unternehmen ist nur so erfolgreich, wie sein Team. Wenn auch nur ein kleiner Teil davon nicht einsatzfähig ist, sinkt die Arbeitsleistung des gesamten Teams, was sich am Jahresende in der Bilanz bemerkbar macht.
Probleme erkennen und anpacken: Mit präventiven Maßnahmen die Mental Health der Belegschaft schützen
Damit belastende Probleme gar nicht erst auftauchen, müssen Unternehmen Themen wie Mental Health und Achtsamkeit präventiv angehen. Oft wird vergessen, dass der Arbeitgeber eine gesetzlich vorgeschriebene Fürsorgepflicht hat, denn laut einer Novelle des ASchG von 2013 sind Unternehmen dazu verpflichtet, die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu evaluieren und bei Gefahren, Maßnahmen zu ergreifen, um “psychische Fehlbeanspruchung” zu vermeiden. Doch welche Initiativen kann ein Unternehmen ergreifen, um die mentale Gesundheit seiner Mitarbeiter:innen zu stärken? Hier einige Tipps:
Problem erkennen, ernst nehmen und besprechen
Leader:innen müssen erst einmal erkennen, ob ein Mental Health Problem vorliegt. Das geht nur, wenn im Unternehmen eine offene und ehrliche Kommunikation gepflegt wird und die Belegschaft spürt, dass das Thema ernst genommen wird. Eine Studie hat ergeben, dass 39 Prozent der betroffenen Arbeitnehmer:innen sich nicht trauen, am Arbeitsplatz offen über ihre Belastung zu reden. Unternehmen dürfen das Thema nicht tabuisieren, denn nur so können sie rechtzeitig Hilfestellung geben. Zur Kommunikation trägt eine offene Feedbackkultur bei. Dabei ist das jährliche Feedbackgespräch keinesfalls ausreichend, modernes Feedback ist ein kontinuierlicher Dauerdiskurs. Offene und anonyme Feedbackkanäle sorgen dafür, dass Probleme schneller erkannt und gelöst werden können.
Work-Life-Balance bieten
Die Grenze zwischen Privatleben und Beruf verschwimmt zunehmend und es ist schwierig, eine gesunde Balance zu halten. Es ist häufig normal, im wohlverdienten Urlaub noch schnell die Vorstandspräsentation vorzubereiten oder Sonntagabend Mails zu beantworten. Doch der ständige Leistungsdruck führt schnell zu Überforderung. Unternehmen müssen für ein realistisches Arbeitspensum sorgen und Freizeit respektieren. Mitarbeiter:Innen können durch Kinderbetreuungsangebote, Sabbatical-Angebote und Home-Office entlastet werden. Job Rotation oder Job Enlargement sorgen für Abwechslung im Arbeitsalltag, was ebenfalls zu einer gesunden Work-Life-Balance beiträgt. Ein großer Hebel ist die Zeit: Flexible Arbeitszeiten unterstützen Mitarbeiter bei einer gesunden Work-Life-Balance. Auch Teilzeitangebote, verschiedene Elternzeit-Varianten und Job-Sharing können ins Repertoire aufgenommen werden.
Ein besonders mutiger, aber höchst effektiver Schritt, ist die 4-Tage-Woche. Verständlicherweise haben Unternehmer:innen häufig Vorbehalte gegen diese drastische Veränderung, doch Betriebe, die das Modell bereits umgesetzt haben, sehen neben einer klar erhöhten Mitarbeiterzufriedenheit auch eine Steigerung der Produktivität und Leistung. 2022 kam die erste 4-Tage-Woche-Langzeitstudie zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Mitarbeiter:innen führten über sechs Monate ihre Arbeit in einer 32-Stunden-Woche mit unverändertem Lohn fort. Kein einziges der 25 teilnehmenden Unternehmen hat sich am Ende der Testphase gegen das Modell ausgesprochen.
Ein BGM (Betriebliches Gesundheitsmanagement) integrieren
Das BGM ist eine freiwillige Präventivmaßnahme eines Unternehmens, die sich um die Gesundheit der Mitarbeiter:innen kümmert – Vorbeugung ist das Stichwort. Es sorgt dafür, dass Arbeitsprozesse, Organisation und Verhalten strukturiert gesundheitsfördernd ausgerichtet werden. Ein BGM kümmert sich nicht nur um Fitnessangebote, ergonomische Möbel und gesundheitliche Beratung, es stärkt einerseits Ressourcen und eliminiert andererseits Belastungen und Stressoren. Die Handlungsfelder reichen von Ernährung über Bewegung, Suchtberatung und psychische Gesundheit bis zur Unterstützung einer gesunden Führung. Damit das BGM im Unternehmen akzeptiert wird und effektiv umgesetzt werden kann, macht es Sinn, einen BGM-Manager einzustellen, der sich um die Umsetzung und Nachhaltung der Maßnahmen kümmert.
Emotionale Intelligenz der Führungskräfte fördern
Dass das persönliche Führungsverhalten einen direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten hat, ist mittlerweile eindeutig belegt. Ein egozentrischer Führungsstil zeichnet sich häufig durch Ungeduld, forderndes Verhalten und ungenügendes Konfliktmanagement aus. Führungskräfte müssen lernen, empathisch zu leiten und das eigene Ego hinten anzustellen, damit das Team erfolgreich sein kann. Der Servant Leadership Stil ist Management auf Augenhöhe und auf Basis von emotionaler Intelligenz. Hier wird nicht danach gefragt, welche Ergebnisse das Team liefern muss, sondern was die Führungskraft tun muss, um das Team zu selbstverantwortlichem Handeln anzuleiten. Haben Leader:innen die Fähigkeit, Emotionen wahrzunehmen, zu steuern und zu beeinflussen, sind sie besser in der Lage, die psychische Gesundheit ihres Teams zu stabilisieren. Emotionale Intelligenz ist eine Fähigkeit, die trainiert werden kann, deshalb sollte sie Teil eines guten Programms zur Entwicklung von Führungskräften sein.
Stressoren reduzieren
Neben Empathie und Kommunikation ist es Aufgabe der Führungskraft, Situationen und Elemente, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Stressreaktion führen, frühzeitig zu identifizieren und zu reduzieren. Zu den Stressfaktoren zählen nicht nur Zeitdruck und überzogene Anforderungen. Führungskräfte müssen vor allem ihre Erwartungen ans Team klar kommunizieren und erreichbare Ziele setzen. Auch eine zu passive Führung löst Stress aus. Weitere Stressoren sind monotone Arbeitsabläufe, ständige Unterbrechungen und ein geringer sozialer Rückhalt am Arbeitsplatz. Außerdem sollten Führungskräfte ihrem Team die richtigen Tools und Technologien zur Verfügung stellen, denn so fallen unnötige Workarounds weg und die Arbeitsbelastung wird reduziert.
Hilfe zur Selbsthilfe bieten
Die heutige Arbeitswelt ist geprägt von zunehmend komplexeren und sich ständig verändernden Anforderungen. Arbeitnehmer:innen sollen nicht nur flexibel, mobil und ständig erreichbar sein, sie müssen sich im Arbeitsalltag zusätzlich zu einem überfüllten Terminkalender mit diversen Tools auseinandersetzen und durchdacht Multitasking betreiben. Unternehmen können die wachsenden Anforderungen an die Selbststrukturierung mit verschiedenen Maßnahmen unterstützen. Meetingfreie Zeiten oder Tage entzerren den Arbeitstag. Ein gemeinsames Priorisieren der Aufgaben von Führungskraft und Arbeitnehmer:in erleichtert den Start ins eigenständige Arbeiten. Auch Zeitmanagement-Kurse und Schulungen zur Selbstorganisation bieten effektiv Hilfe zur Selbsthilfe.
Externe Unterstützung holen
Mitarbeiter:innen mit Mental Health Problemen reden oft nicht über ihre Belastungen, weil sie fürchten, es könnte ihrer Karriere schaden. Deswegen ist es wichtig, externe Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen. Als Teil der betrieblichen Gesundheitsförderung kann ein EAP (Employee Assistance Program) eingeführt werden. Diese externe Mitarbeiterberatung setzt explizit an, bevor kleinere Probleme zu massiv werden und eine psychische Erkrankung auslösen.
Strategie schriftlich fixieren
Damit eine Mental Health Strategie nicht als belanglose Nebensache empfunden wird, muss sie klar formuliert, schriftlich verfasst und im Unternehmensleitbild verankert werden. Nur wenn sie gleichberechtigt mit jedem anderen Unternehmensziel ist, kommt ihr die nötige Aufmerksamkeit zu. Das bedeutet, es werden die benötigten Ressourcen, von Personal bis Budget, geplant, Fristen zur Erfüllung gesetzt und der Erfolg auf dem Weg zur Zielerreichung regelmäßig überprüft.
Bei allen Maßnahmen, die ein Unternehmen anbietet, sind zwei Dinge wichtig: Die Teilnahme muss auf freiwilliger Basis erfolgen und die Effektivität der Bemühungen sollte regelmäßig überprüft werden.
Fazit
Den dramatischen Anstieg von Ausfalltagen wegen psychischer Erkrankungen darf eine moderne Firma nicht ignorieren: Es ist Zeit, das Thema Mental Health in Unternehmen mit dem nötigen Ernst und einer offenen, vorurteilsfreien Kommunikation anzugehen. Nur gesunde Mitarbeiter:innen können motiviert und produktiv zum Erfolg beitragen. Mit Verständnis, einer gesunden Work-Life-Balance, emotional intelligenten Leader:innen und einer schriftlich fixierten Gesundheits-Strategie können Leader:innen ihr Team präventiv schützen.
Allerdings muss klar sein, dass es mit einer vergünstigten Mitgliedschaft im Fitnessstudio und dem Yoga-Kurs-Gutschein nicht getan ist. Halbherzige Gesundheitsmaßnahmen können strukturelle Probleme nicht überdecken, deswegen muss ein reflektierter Blick auf die Unternehmenskultur Teil der Mental Health Strategie sein. Zudem sollte das Mindset der Führungsebene bezüglich ihrer Vorbildfunktion sensibilisiert werden: Auch die Chefetage muss die Maßnahmen leben, die sie umsetzen will. Wenn auch der Vorstand die Arbeitszeit weitgehend einhält, regelmäßig Pause macht, im Urlaub ungestört sein will und allgemein Offenheit für das Thema mentales Wohlbefinden ausstrahlt, sinkt der Druck auf das Team und die Unternehmenskultur basiert auf den Grundlagen eines gesunden Miteinanders.