Wie funktioniert Marketing in China? 3 Learnings aus Fernost

China bietet mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern und einer stetig wachsenden Mittelschicht einen attraktiven Zukunftsmarkt. Der boomende Online-Handel, die besondere Kaufkultur und die politische Lage im Reich der Mitte sorgen dabei nicht nur für große Chancen, sondern auch für diverse Herausforderungen für Unternehmen und ihre Marketingentscheider. Wir untersuchen, welche wichtigen Unterschiede zum westlichen Markt bestehen und welche Learnings sich daraus für eine erfolgreiche Kampagne in Fernost ergeben. 

Jeder Marketingprofi weiß: Ausgangspunkt und Grundlage einer jeden erfolgreichen Marketingkampagne ist es, die Kund:innen wirklich zu verstehen. Wenn es um Marketing in China geht, wird dieser Bedarf an lokalem Wissen und Einblicken umso größer. Denn chinesische Zielgruppen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen in Europa und den USA. Darüber hinaus sorgen die politischen Unterschiede zwischen China und den westlichen Nationen dafür, dass Unternehmen immer häufiger in politische Konflikte hineingezogen werden. Um die Produkt- und Markenstrategie entsprechend auf die besonderen chinesischen Umstände abstimmen und ausrichten zu können, schauen wir uns die drei wichtigsten Unterschiede und Learnings daraus an: 

1# – Kultur und Zensur

Internationale Werbekampagnen müssen generell an die Kulturen bestimmter Ziel-Nationen angepasst werden. Der kulturelle Graben zwischen dem Westen und dem Land der aufgehenden Sonne ist jedoch um einiges größer als üblich. Ob es dabei um den besonderen chinesischen Humor geht, um die kulturelle Bedeutung von Zahlen, Farben und Symbolen oder um eigene Fest- und Feiertage – all diese Aspekte müssen gründlich bedacht und im besten Fall von chinesisch stämmigen Mitarbeiter:innen im eigenen Team überprüft werden. Wie sich erfolgreich auf die chinesische Kultur eingehen lässt, haben zum Beispiel mehrere internationale Modemarken wie Nike, Timberland, Gucci und Dior gezeigt, die erst am 12. Februar ihre exklusiven Kapselkollektionen im Vorfeld des chinesischen Neujahrsfestes thematisch passend zum Jahr des Büffels präsentiert haben. 

Das letztgenannte französische Luxusmodehaus Dior hatte ein Jahr zuvor allerdings bereits umso unerfreulichere Erfahrungen mit der chinesischen Kultur und Politik machen müssen. Bei einer Vorstellung des Unternehmens an einer chinesischen Universität präsentierte eine Mitarbeiterin die Dior-Geschäfte „in China“ auf einer Karte, auf der Taiwan nicht zu sehen war. Die chinesische Regierung sieht das demokratisch regierte und 1949 von China abgespaltene Taiwan jedoch als abtrünnige Provinz, die in Zukunft wieder mit dem Festland vereinigt werden soll. Nachdem sich Bilder der besagten Karte von Dior im Internet verbreiteten, entschuldigte sich das Unternehmen offiziell und bezeichnete sich demütig als „ein Freund von China“, um es sich mit der chinesischen Kundschaft nicht zu verscherzen. 

Eine noch verzwicktere Lage hat sich gerade in den letzten Wochen für viele westliche Unternehmen entwickelt. Grund dafür ist die Baumwoll-Produktion im chinesischen Xinjang und der begründete Vorwurf, dass diese durch staatlich verordnete Zwangsarbeit der muslimischen Minderheit der Uiguren betrieben wird. Westliche Modemarken wie H&M, Nike, Adidas, Puma und Hugo Boss hatten entsprechend im vergangenen Jahr erklärt, keine Baumwolle aus Chinas westlicher Region zu verwenden. Nachdem im März 2021 die Europäische Union, die USA und Großbritannien Sanktionen wegen der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang erlassen hatten, holte die chinesische Propaganda diese Äußerungen wieder hervor. Es folgten Boykottforderungen und Adidas und Nike wurden vom chinesischen Smartphone-Hersteller Huawei aus dem App-Store geworfen. 

All diese Beispiele zeigen: Wer sich auf den chinesischen Markt vorwagt, kann zwar mit großen Umsatzchancen rechnen, aber ebenso mit großen Schwierigkeiten im Zuge politischer Konflikte. Um diese Gefahren gut einschätzen und daraus folgend die richtigen Unternehmensentscheidungen treffen zu können, empfiehlt sich eine umfassende Risikoanalyse unter Hilfestellung von entsprechenden Experten, z. B. von einer chinesischen Marketing-Agentur. 

2# – Digitales Marketing und Mobil First

Eine weitere grundlegende Besonderheit des chinesischen Marktes ist die große Bedeutung von Sozialen Medien und Mobile Marketing. Der Grund: China verfügt über die größte Online-Community der Welt. Von den 1,4 Milliarden Einwohnern sind mittlerweile über 988 Millionen mit dem Internet verbunden und das fast ausschließlich über ihr Smartphone.  

Bevor Unternehmen sich aber an digitale Marketingkampagnen wagen, sollten sie zunächst bedenken, dass sich die digitale Landschaft in China sehr fragmentiert darstellt: Nutzer:innen springen von App zu App und von Ökosystem zu Ökosystem und lassen sich daher nur schwer effektiv verfolgen. Während westliche Zielgruppen hauptsächlich die Big Player wie Facebook, Instagram, Twitter oder Snapchat nutzen, steht dem chinesischen Publikum eine weitaus größere Auswahl an populären und landestypischen Social-Media-Kanälen zur Verfügung, darunter WeChat, Sina Weibo, Tencent QQ und das inzwischen weltweit erfolgreiche TikTok. Chinesische Kund:innen nutzen auch branchen- und themenspezifische Social-Media-Plattformen wie Mafengwo für Reisen und Keep für Gesundheit und Fitness. Auch regionale Segmentierungen erfolgen zum Beispiel auf Plattformen wie Kuaishou, einer Kurzvideo-Plattform, die auf Nutzer:innen abseits der großen Megacities abzielt. Wer nun allerdings befürchtet, mit einer der vielen Plattformen nicht mehr genügend Menschen erreichen zu können, sollte die schiere Größe Chinas nicht vergessen: So hat Kuaishou zum Beispiel über 160 Millionen aktive tägliche Nutzer in China. 

Im Gegensatz zu westlichen Ländern reagiert das chinesische Publikum weniger negativ auf gezielte Online-Werbung und begrüßt es oft sogar als Mittel, um neue Marken kennenzulernen. So wundert es nicht, dass sich in China ein komplexes und sehr erfolgreiches Netzwerk für digitale Marketingmaßnahmen entwickelt hat. Die meisten Social-Media-Plattformen bieten dabei vor allem Möglichkeiten für Videowerbung an, die sich in China schnell zu einer der effektivsten Werbemöglichkeiten entwickelt hat. Videowerbung kann in China sowohl über Social-Media-Plattformen als auch auf Video-Streaming-Plattformen geschaltet werden. Tencent Video hat vor kurzem die Führung im Rennen um die führende Video-Streaming-Plattform in China übernommen und den bisherigen Spitzenreiter Youku-Tudou verdrängt. 

Viele Plattformen, wie zum Beispiel Sina Weibo, bieten auch Boosted Content Postings an, die ebenfalls sehr effektiv sind, da sie organischer wirken als zum Beispiel Bannerwerbung. In Kombination mit KOLs – Key Opinion Leaders, wie sich die chinesischen Influencern nennen – können diese gesponserten Posts eine hervorragende Reichweite und Konversionsrate erzielen.  

3# – Chinesisches Einkaufsverhalten

Digitale Marketing-Maßnahmen profitieren vor allem auch von der besonders ausgeprägten chinesischen Kultur des Online-Shoppings. Kein Tag macht dies deutlicher als der “Single’s Day”, ein inoffizieller chinesischer Feiertag für Menschen, die nicht in einer Beziehung sind. An diesem wichtigsten Tag des Online-Shoppings hat in den letzten 5 Jahren allein Alibaba, der größte E-Commerce-Anbieter Chinas, jeweils mehr als doppelt so viel Umsatz generiert wie sämtliche US-amerikanische Händler am jeweiligen Thanksgiving-Wochenende (Thanksgiving, Black Friday, Cyber Monday) zusammen.  

Bei all der digitalen Konsumfreude der Chinesen und dem beliebten Klischee der billigen “Made-in-China”-Produkte überrascht es vielleicht zu hören, dass für chinesische Käufer:innen keinesfalls immer der Preis den entscheidenden Faktor darstellt. Vielmehr sind ihre Kaufentscheidungen differenzierter – sie genießen nicht nur ihr Einkaufserlebnis, sondern sind auch sehr aktiv bei der Suche nach Markeninformationen wie Produktbewertungen und Forengesprächen. Chinesische Kund:innen können anspruchsvoll erscheinen, weil sie viele Informationen über Marken und deren Produkt- oder Dienstleistungsangebot benötigen. Das liegt daran, dass das chinesische Publikum oft negative Erfahrungen mit gefälschten Waren gemacht hat – daher sind Authentizität und Qualität für sie entscheidend. Dies ist auch einer der Gründe, warum westliche Luxusmarken immer wieder große Erfolge auf dem chinesischen Markt feiern. 

Unternehmen sollten den chinesischen Kund:innen also vielseitige Möglichkeiten bieten, um sich über die Marke oder das Produkt informieren zu können. Ein beliebtes Format, das diesem besonderen chinesischen Bedürfnis entgegenkommt, ist das Live-Shopping. Bei diesem aktuellen Commerce-Trend präsentieren und erklären beliebte KOLs, die für das Vertrauen und die Informationsbeschaffung der Chinesen ohnehin eine große Rolle spielen, per Live-Streaming die Produkte des Unternehmens und treten mit dem Publikum durch die Kommentar-Funktion in einen interaktiven Dialog. 

Fazit

Es zeigt sich: China ist ein komplexer und rasant wachsender Markt sowohl mit politischen Hürden als auch ständigen Neuigkeiten und digitalen Trends. Um hier den Überblick nicht zu verlieren, sollten zunächst entweder chinesische Mitarbeiter:innen, die den Markt verstehen, eingestellt oder eine chinesische Marketingagentur zu Rate gezogen werden. Darüber hinaus lohnt sich ein schneller und agiler Marketing-Ansatz. Während Marketing-Kampagnen im Westen oft Monate oder Jahre im Voraus geplant werden, geht es in China darum, binnen Wochen nahtlose Inhalte über mehrere Plattformen zu erstellen, die genau jetzt relevant sind. Das chinesische Publikum liebt dabei in erster Linie unterhaltsame, skurrile, kreative und vor allem teilbare Inhalte. Wer also klug und souverän mit politischen Risiken umgeht, schnell auf aktuelle Social-Media-Trends reagieren kann und mit originellen Inhalten zu überraschen weiß, kann in China schnell positives Feedback und wachsenden Umsatz generieren.

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