Werbekampagnen – vor allem großer Marken – erreichen die Aufmerksamkeit eines Millionen-Publikums. Manche Unternehmen nutzen diese Reichweite auch für einen guten Zweck und klären die Öffentlichkeit in ihren Spots über wichtige Probleme und Missstände in der Gesellschaft auf – so zuletzt auch IKEA mit einem Geistervideo über häusliche Gewalt. Wie lassen sich solch sensible Themen authentisch mit der eigenen Marke verbinden? Wir schauen uns an, worauf es dabei ankommt.
Eine Frau wird scheinbar von einem Geist verfolgt. Zuhause fallen Gläser auf den Boden und die Türen knallen zu, obwohl sie scheinbar alleine ist. Bei der Arbeit und im Alltag kann sie sich kaum mehr konzentrieren. Erst am Ende des 90-sekündigen Clips mit dem Titel “Ghost” wird klar: Der Geist ist in Wirklichkeit der gewalttätige Ehemann der Frau – die sowohl physische als psychische Gewalt, die ihr in den eigenen vier Wänden angetan wird, ist oft von außen nicht sichtbar. Mit diesem Werbespot will IKEA aktuell in Tschechien auf das Thema häusliche Gewalt aufmerksam machen.
Der dramatisch inszenierte Clip stößt auf viel Medienecho und verbreitet sich in Tschechien rasant. Vor allem in den sozialen Medien haben sich viele Frauen bei IKEA dafür bedankt, dass das heikle und oft verborgene Thema so mehr Aufmerksamkeit bekommt. Denn gerade während der Corona-Pandemie und erst recht in der kalten Jahreszeit wird häusliche Gewalt verstärkt zum Problem. In Tschechien sind bereits 47 Prozent der Frauen davon betroffen. Laut Angaben des Bundesfamilienministeriums wird auch in Deutschland etwa jede vierte Frau mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner.
Der Widerspruch zwischen Fremd- und Eigennutz
Mit dem “Ghost”-Spot hat es IKEA also geschafft, ein aktuelles und ernstes Thema in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Gleichzeitig wurden aber auch vereinzelt kritische Stimmen laut, die IKEA vorwarfen, das Thema für Eigenwerbung auszunutzen. Damit wäre das Hauptproblem von Marken-Kampagnen für den guten Zweck genannt: der Widerspruch zwischen Fremd- und Eigennutz. Denn letztlich muss sich jede Kampagne dieser Art den Vorwurf gefallen lassen, dass nicht nur der noble Anlass, sondern ebenso das dahinterstehende Unternehmen mit seinen rein wirtschaftlichen Motiven von der Aktion profitiert. In welchem Maße dies jedoch allgemein akzeptiert wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Die Message nicht als emotionales Mittel verwenden
Am wichtigsten ist dabei zunächst, dass das ernste Thema eindeutig und erkennbar das Ziel der Kampagne ist und nicht bloß als Mittel dient, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ein prominentes Beispiel, bei dem der Bogen in dieser Hinsicht leicht überspannt wurde, ist der Weihnachtsspot #Heimkommen von Edeka aus dem Jahr 2015. In dem 100-Sekünder ist ein alter Mann zu sehen, der seinen Tod vortäuscht und seine Familie zur Abschiedsfeier in sein Haus einlädt, damit er an Weihnachten nicht alleine sein muss. Der Clip löste starke Reaktionen aus – sowohl positive als auch negative. Die einen feierten seine emotionale Wirkung und das erhöhte Bewusstsein für Vereinsamung im Alter, während die anderen den Spot als kitschig und geschmacklos einstuften und kritisierten, dass er mit den Gefühlen der Zuschauer spielt. Auch wenn sich Edeka zufrieden zur Debatte äußerte: „Die Kommentare zeigen, dass der Spot viele Menschen bewegt“, blieb bei vielen doch der Eindruck bestehen, dass Edeka mit der emotionalen Geschichte des vereinsamten alten Mannes bewusst polarisieren und Aufmerksamkeit für das Unternehmen erzeugen wollte.
Noch unglücklicher stellte sich jedoch Pepsi im Jahr 2017 bei der Aneignung eines politischen Themas an – und musste dementsprechend noch deutlichere Konsequenzen ziehen: In einem Werbespot der Getränkefirma schließt sich das Model Kendall Jenner einer Straßendemonstration gegen rassistische Polizeigewalt an und löst den Konflikt damit auf, dass sie den Polizisten eine Pepsi-Dose reicht. Die plumpe Art und Weise, wie sich Pepsi der Relevanz und Aufmerksamkeit der Black-Lives-Matter-Bewegung bediente, um ihre Zielgruppe zu erreichen, löste allseitige Empörung aus. Pepsi entschuldigte sich schnell in einem offiziellen Statement und zog die Werbung zurück.
Einen glaubwürdigen Bezug zur Message herstellen
Damit die positive Message also wirklich und glaubhaft im Mittelpunkt der Werbekampagne stehen kann und das Unternehmen als authentischer Absender akzeptiert wird, muss letztlich auch ein nachvollziehbarer Bezug zwischen beiden bestehen. So liegt es zum Beispiel nahe und wurde allgemein positiv aufgenommen, dass die Deutsche Telekom als größter deutscher Telekommunikations-Anbieter für Internet und Telefon sich seit März diesen Jahres mit einer Kampagne gegen Hass im Netz und Cybermobbing einsetzt. Ähnlich verständlich – wenn auch weitaus kontroverser – war die Werbeaktion der Rasierermarke Gillette, welche ihre bisherige stereotypische Darstellung des Mannes im Zuge der #MeToo-Bewegung hinterfragte und dabei Sexismus und toxische Männlichkeit anprangerte.
Mit der Community zusammenarbeiten
Ein letzter Aspekt, der eine authentische Werbebotschaft ermöglicht, ist die Interaktion und Zusammenarbeit mit den Menschen, die das Thema tatsächlich betrifft. Auch hier kann die Telekom-Kampagne als Positiv-Beispiel genannt werden, da sie sowohl mit gemeinnützigen Organisationen wie „Freunde fürs Leben“ zusammenarbeitet, als auch echte Testimonials zu Wort kommen lässt sowie einen eigens entwickelten Chatbot gegen Hass im Netz anbietet.
Durch die Vernetzung von Aktivisten sowie einer kreativen Idee ist es auch dem Toilettenpapier-Hersteller Goldeimer gelungen, ein Thema überzeugend zu bewerben, das auf den ersten Blick eigentlich gar nichts mit dem Unternehmen zu tun hat. Unter dem Titel “Rassismus ist für’n Arsch” produziert Goldeimer ein Toilettenpapier, das sich durch seine Gestaltung explizit gegen Rassismus richtet und für Aufklärung sorgt. Zusammen mit Rapper und Aktivist Roger Reckless hat das Unternehmen dafür eine Crowdfunding-Aktion sowie einen Design-Contest organisiert, der von zahlreichen Prominenten wie Rapper Samy Deluxe, YouTuberin Natasha Kimberly, Schauspieler Kida Ramadan und NDR-Moderatorin Aminata Belli unterstützt wird.
Die erfolgreichen Beispiele zeigen, dass die Themen „Markenwerbung” und „Aufklärung über ernste Themen” durchaus zwei Seiten einer geglückten Kampagnen-Medaille sein können – solange einige wichtige Punkte beachtet werden: Wichtig ist vor allem, dass das thematisierte gesellschaftliche Problem in all seinen Facetten ernst genommen wird und nicht scheinbar nur als Mittel für die eigenen Botschaften dient. Darüber hinaus muss klar und glaubwürdig kommuniziert werden, warum sich das Unternehmen gerade für dieses spezielle Thema einsetzt. Zu guter Letzt gilt es immer, die betroffenen Menschen mit einzubinden und vor allem durch gutes Community Management die Diskussionen in den sozialen Netzwerken zu begleiten.