Corona hat die Digitalisierung – insbesondere bei kleinen Unternehmen – enorm beschleunigt und auch im Gesundheitssektor ist Digital Health heute nicht mehr wegzudenken. Die Apothekenbranche reagiert nun auf diesen Trend: sie nutzt innovative Lösungen, um ihre Produkte online und mit Same-Day-Delivery zu verkaufen und profitiert gleichzeitig von landesweiten Marketinginitiativen. Wir sprechen mit Thomas Engels, Gründer und CEO von Doc.Green, einem Online-Marktplatz für rezeptfreie Medikamente, über die Zusammenarbeit zwischen Online- und Offline-Einzelhandel, den Wettbewerb mit Amazon und den Launch einer Marke während einer globalen Pandemie.
Ihr Geschäftsmodell ermöglicht es den Verbrauchern, Medikamente online zu bestellen, nutzt aber immer noch das starke Netzwerk der lokalen Apotheken und ihrer Botendienste. Wie funktioniert eine effektive Zusammenarbeit zwischen Online- und Offline-Handel?
In unserem Fall sieht eine effektive Zusammenarbeit wie folgt aus: Auf unserem Online-Marktplatz Doc.Green können Kunden ein bestimmtes Arzneimittel online bestellen und wir leiten diese Bestellung dann an eine Apotheke vor Ort weiter. Deren etablierter Botendienst, den man davor nur in der Apotheke und mit Rezept beauftragen konnte, liefert dieses Produkt an den Kunden. Apotheken haben ihren Kunden in der Vergangenheit nur sehr wenige Möglichkeiten geboten, um online zu bestellen – hier haben wir eine Marktlücke gesehen. Letztendlich hängen unsere guten Beziehungen zu den Apotheken davon ab, dass wir Bestellungen für sie hereinbringen. Hier kommen unsere Plattform und unser Marketing ins Spiel. Wir versprechen, 80 Prozent der monatlichen Gebühr, die wir den Apotheken berechnen, in Werbung zu investieren.
Ich ärgere mich immer, wenn sich lokale Unternehmen darüber beschweren, dass sie Geschäfte an das Internet verlieren. Es spricht nichts dagegen, dass sich lokale Geschäfte unter einer lokalen Lieferplattform zusammenschließen. Und es gibt wirklich starke Beispiele, die zeigen, dass es funktioniert – wie zum Beispiel in Wuppertal.
Jeder kleine Online-Marktplatz konkurriert direkt mit Amazon und Co., insbesondere während Corona. Wie kann man sich gegen die Internet-Riesen behaupten?
Amazon Prime Now ist kürzlich eine Partnerschaft mit den Münchner Bienen-Apotheken eingegangen, um Pharmaprodukte online anzubieten. Das scheint während der Corona-Krise erfolgreich gewesen zu sein. Interessant ist aber, dass sie offensichtlich Schwierigkeiten haben, das Geschäftsmodell auch national auszurollen. Im Gegensatz dazu streben wir an, bundesweit 2.000 bis 3.000 Apotheken zu eröffnen. Und natürlich kauft der Verbraucher durch Doc.Green immer noch vor Ort ein und unterstützt dadurch lokale Unternehmen.
Im Vergleich zu anderen Ländern hat sich in Deutschland die Online-Lieferung von Lebensmitteln nur langsam etabliert. Ist der deutsche Verbraucher Ihrer Meinung nach eher bereit, Medikamente online zu bestellen?
Ja, definitiv. Eine Studie des Beratungsunternehmens Sempora aus dem Jahr 2012 zeigt, dass über 50 Prozent der Deutschen Medikamente online bestellen würden (während es bei Lebensmitteln nur etwas mehr als die Hälfte war). Damals gab es dafür jedoch noch keine Lösung. Die Apotheken sind schon immer stark von traditionellen Abläufen geprägt gewesen und ihre Kunden haben bisher immer vor Ort bestellt. Es gibt eine Tendenz auf Seiten der Apotheken, sich gegen Veränderungen zu sträuben. Die Herausforderung in unserer Branche besteht darin, den Apotheken die Vorteile zu eröffnen, die ihnen ein Online-Vermittler bieten kann.
Sie haben Doc.Green mit einer neuen bundesweiten TV-Kampagne im April 2020 während der Corona-Krise gelauncht. Viele Marken schrecken derzeit davor zurück. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen?
Wir hatten unsere Marketingkampagne eigentlich mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit geplant. Unser Produkt trägt wirklich dazu bei, CO2 einzusparen, weil das Einkaufen im Internet einschließlich der Lieferung weniger CO2 erzeugt als das Einkaufen in der Stadt mit dem Auto. Wir haben im Frühjahr angefangen, mit SevenVentures zusammenzuarbeiten und als Corona kam, erkannten wir schnell, dass dies eine Chance für uns war: Wegen der Sorgen vor dem Virus will man es vermeiden, persönlich zum Arzt oder in die Apotheke zu gehen. Also beschlossen wir, bei der Marketingkampagne Vollgas zu geben. Wir lancierten einen neuen TV-Spot unter dem Slogan „Die neue Art Medikamente zu bestellen”, schalteten Bannerwerbung, gaben ein neues Branding in Auftrag und setzten SEO-Maßnahmen um. Alles um herauszufinden, welche Marketingmaßnahmen uns die meisten Kunden bringen.
Hat sich die Entscheidung, während Corona zu starten, ausgezahlt?
Durch Corona und die Digitalisierung erkennen die Apotheker nun langsam, dass sich die Welt verändert. Unsere erfolgreiche Marketing- und Fernsehkampagne hat uns auf jeden Fall geholfen, mehr Verträge mit Apotheken abzuschließen. So konnten wir unser Netzwerk weiter ausbauen und unseren Service nun noch mehr Kunden zur Verfügung zu stellen.
Seit dem digitalen Versorgungsgesetz (DVG) 2019 ist die digitale Gesundheit in Deutschland zu einem wichtigen Thema geworden. Ab dem nächsten Jahr wird das E-Rezept auch in Deutschland verfügbar sein. Wie wollen Sie diesen Trend nutzen und in Zukunft wachsen?
Auf Doc.Green verlinken wir bereits auf ein Schwesterportal, das die Zustellung von E-Rezepten anbietet: www.rezept-sicher-bestellen.de. Außerdem arbeiten wir an der Entwicklung eines neuen Produkts. Denn bei den E-Rezepten haben die Apotheken oftmals das Problem, das Rezept tatsächlich zu erhalten. Mit unserem neuen Portal können Kunden das Rezept und die Medikamente mit einem Klick direkt bestellen: Die Apotheke erhält die Bestellung direkt und kümmert sich nur noch um das Medikament. Der Kunde kann es entweder selber in der Apotheke abholen oder sich das Medikament liefern lassen.