Mit einem weltweiten Umsatz von rund 60 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 ist Live-Shopping der neueste Commerce-Trend aus China, der nun auch Europa erreicht hat. Gerade während der Pandemie bietet der Shopping-Trend vielen einen willkommenen neuen Direct-to-Consumer-Vertriebskanal, insbesondere – aber nicht ausschließlich – für Mode- und Beauty-Marken. Viele deutsche Unternehmen springen nun auf den Zug auf – aber was steckt eigentlich genau hinter Live-Shopping?
Was genau ist Live-Shopping?
Live-Shopping ist im Grunde genommen traditionelles Home-Shopping, wie wir es von Sendern wie QVC und HSN kennen, nur neu interpretiert für das digitale Zeitalter. Marken nutzen Instagram Live, Facebook Watch und spezielle Live-Shopping-Plattformen, um ihre Produkte zu präsentieren, Empfehlungen und Bewertungen zu teilen und Rabatte anzubieten. Durch Live-Shopping können Marken von der Popularität des Live-Streaming-Trends profitieren, der in jüngster Zeit unter anderem durch das enorme Wachstum neuer Streaming-Plattformen wie Twitch und Clubhouse deutlich geworden ist.
Live-Shopping ist auf digitalen Kanälen einzigartig, weil es Entertainment und Information mit Einkaufsmöglichkeiten verbindet. Kunden schalten ein, weil sie unterhaltsamen und informativen Moderatoren (in der Regel entweder ein Influencer oder ein Markenvertreter) gerne dabei zusehen, wie sie ihre Lieblingsmode- und -kosmetikprodukte erklären. Viele bevorzugen dieses Erlebnis gegenüber dem Einkauf in einem belebten Ladengeschäft oder dem Scrollen durch einen Online-Shop. Einige Marken nutzen das Live-Shopping auch, um den Zuschauern fachkundige Ratschläge und Informationen zu geben. So bieten zum Beispiel die Live-Shopping-Events der britischen Hautpflegemarke SkinCeuticals Beratungen durch Dermatologen und Ärzte. Durch den stetigen Kommentar-Dialog zwischen den Zuschauern und dem Moderator entsteht ein interaktives Erlebnis und der Live-Charakter reduziert zudem die Möglichkeit der Manipulation von Bildern und Einstellungen, sodass die Zuschauer der Marke noch leichter vertrauen.
In Bezug auf Live-Shopping ist China Europa und den USA um Lichtjahre voraus. Größtenteils von Influencern moderiert, experimentieren chinesische Events bereits mit Flash-Sales, Gamification und Augmented-Reality-Elementen. Das Konzept ist extrem beliebt: Zehn Prozent aller Online-Einkäufe in China werden bereits über Live-Videos getätigt und am chinesischen Singles Day, dem Äquivalent zu unserem Black Friday, erzielte der größte chinesische Online-Händler Alibaba rund 25 Prozent seines Umsatzes über Live-Shopping. Da die Pandemie den stationären Einzelhandel weiterhin lahmlegt, haben sich nun auch deutsche Marken von China inspirieren lassen, wo der E-Commerce generell viel weiterentwickelt ist. Marken wie Orsay, L’Oréal, flaconi, Douglas und Tchibo gehören zu den ersten, die das Konzept in Deutschland übernommen haben.
Benjamin Ludigs, CRO von flaconi, berichtet: “Das Trend-Format Live-Shopping-Show ist für uns eine spannende Möglichkeit, flaconi Kund*innen direkt und authentisch ein saisonal kuratiertes Sortiment vorstellen zu können und sie mit Trends, Persönlichkeit und Beauty Expertise zu inspirieren. Wir verstehen das neue Format als Edutainment-Kanal und zudem als konsequente Weiterführung unserer Markenstrategie ‘Find your beauty. Everyday.’”
Wer schaltet ein?
Zahlen aus China deuten darauf hin, dass das Zielpublikum hier zweifellos jüngere Millennials und die Generation Z sind. Aber auch ältere Millennials (31 bis 40 Jahre) fallen unter die Zielgruppe. Diese große Konsumentenbasis – in China fallen 33 Prozent der Live-Shopping-Zuschauer in diese Altersgruppe – macht Live-Shopping ebenfalls attraktiv für höherwertige Marken.
Welche Marken eignen sich für Live-Shopping?
Live-Shopping eignet sich besonders für solche Produkte, die davon profitieren, dass sie auf dem Bildschirm zu sehen sind und vorgeführt und erklärt werden. Es wundert daher kaum, dass Mode- und Beauty-Marken zu den ersten gehören, die dieses Konzept in Deutschland übernommen haben. Bei Modeprodukten präsentieren Moderatoren die Kleidung und geben Tipps, wie man sie kombinieren kann. Im Fall von Beauty erklären Experten den Zuschauern, wie man die Produkte anwendet und welche Vorteile sie bieten. Auch Elektronikhändler haben Interesse am Live-Shopping gezeigt – und Berichte aus China zeigen, dass auch Lebensmittelhersteller bereits mit Live-Shopping experimentieren.
Wie können Unternehmen bei Live-Shopping einsteigen?
Wer in die Welt des Live-Shoppings eintauchen will, sollte zunächst so schlank wie möglich starten. Unternehmen müssen nicht gleich in teures Produktionsequipment investieren; wichtiger ist es stattdessen, erst einmal regelmäßige Sendungen zu etablieren und eine Fangemeinde aufzubauen. Wenn die Community und der Umsatz gewachsen sind, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um über die Investition in ein höherwertiges Produktions-Setup nachzudenken.
Bei der Wahl des Moderators sollten Unternehmen zuerst ihre Ziele berücksichtigen. Ein Influencer ist die logische Wahl, wenn Marken von Anfang an für Aufsehen sorgen und Traffic generieren wollen. Das Publikum vertraut ihnen bereits und durch ihre Follower können Unternehmen auch mit der Gewinnung von Neukunden rechnen. Ein hauseigener Experte als Moderator gibt Marken jedoch die Chance, eigene Meinungsführer und eine eigene Community aufzubauen. Manchmal entscheiden sich Marken dafür, dass ein Influencer und ein Markenexperte gemeinsam ein Live-Shopping-Event moderieren, um somit das Beste aus beiden Welten zu kombinieren. Das Wichtigste ist jedoch, dass die Moderatoren darin geübt sind, mit einem Live-Stream und einem Live-Publikum zu arbeiten. Denn es ist eine Sache, als Influencer Stories und Bilder auf Instagram zu posten und eine ganz andere, einen Live-Stream souverän zu moderieren und Verkäufe anzukurbeln.
Bei der Wahl der Plattform bietet sich am Anfang der Live-Stream auf einem starken Social-Media-Kanal an. Zwar gibt es generell noch keine Live-Shopping-Funktionen, aber Instagram Live Shopping ist in den USA im August 2020 gestartet und wird voraussichtlich 2021 in Deutschland ausgerollt. Es bleibt zu hoffen, dass hierfür der nächste Schritt die Zahlungsintegration mit Apple Pay/PayPal ist. In Deutschland gibt es inzwischen Software-Anbieter, die es Händlern ermöglichen, ihren Live-Stream direkt mit ihrem Online-Shop zu verbinden, sodass Verbraucher die Produkte des Händlers mitten im Stream mit nur einem Klick kaufen können.
Was das Erfolgstracking angeht, können spezialisierte Plattformen mit direktem Click-Through zum Online-Shop die Conversion während eines Live-Shopping-Events direkt messen. Einige Marken, die Instagram Live nutzen, wie z. B. flaconi, bieten Live-Shoppern einen speziellen Rabattcode an, den sie beim Kauf von Produkten in ihrem Online-Shop verwenden können und mit dem die Conversion verfolgt werden kann. Manche Marken treiben die Conversion sogar mit weiteren Anreizen voran – so incentiviert Tchibo etwa seinen Rabattcode mit der Chance, an einem Gewinnspiel für ein Kaffee-Abo teilzunehmen. Douglas bietet Live-Shoppern ein kostenloses Geschenk, wenn sie während des Streams einkaufen. Marken sollten auch allgemeine Live-Streaming-Erfolgsmetriken wie Live-Zuschauerzahlen, wiederholten Traffic und Zuschauer-Engagement beachten.
Was sagen die Kritiker?
Live-Shopping hat seit seinem Aufkommen einige Kritiker auf den Plan gerufen. Diese weisen auf die Tatsache hin, dass Produkte oft zum billigsten Preis verkauft werden und dass es hohe Nebenkosten gibt. Der Influencer muss bezahlt werden, auch wenn er auf Provisionsbasis arbeitet und es fallen Versandkosten an, besonders wenn Produkte eine hohe Rücklaufquote haben. Kritiker betonen auch die Unterschiede zwischen chinesischen und westlichen Influencern und dem „Einfluss“, den sie ausüben. Chinesische Influencer haben eine extrem hohe Reputation und Glaubwürdigkeit, während das Vertrauen in chinesische Marken und Produkte generell gering ist. Nur aus diesem kulturellen Grund seien chinesische Influencer-Empfehlungen so einflussreich und generieren somit signifikante Umsätze.
Die Zukunft des Live-Shoppings in Deutschland
Ungeachtet der Kritik zeigen die Umsatzzahlen des Live-Shoppings, die bereits vor dem Lockdown aus China kommen, dass dies kein vorübergehender Hype ist. Mit den Social-Media-Plattformen in Deutschland, die in diesem Jahr auf den Trend reagieren werden, einer attraktiven Zielgruppe, einem relativ einfachen Aufbau und einem nachvollziehbaren ROI werden viele Marken einsteigen wollen. Unser Rat: Wenn das Produkt und die Zielgruppe passen, dann lohnt es sich, eher früher als später zu starten. Denn Live-Shopping könnte der nächste große E-Commerce-Hype werden.