Kreativität ist krisenresistent: Warum Purpose Marketing jetzt so wichtig ist

Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Rekord-Inflation – die aktuelle Lage ist geprägt von Unsicherheit und Negativität. In so einer emotionalen Ausnahmesituation müssen Brands besonders sensibel reagieren und sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ihre Markenbotschaften in der belastenden Grundstimmung noch angemessen sind. Warum Unternehmen gerade jetzt mit einem unkreativen Sicherheitsdenken, das nur auf Fehlervermeidung ausgelegt ist, nicht weiterkommen, erklärt Tom Schwarz, Geschäftsführer bei der Seven.One AdFactory, dem Kreativvermarkter der ProSiebenSat.1 Media SE. Denn in der Krise sind Brands, die mit mutigen und kreativen Ideen Haltung zeigen, die großen Gewinner.   

Krise, Cocooning und TV als Lagerfeuer 

Der toxische Mix aus Post-Corona und Ukraine-Krieg führt momentan zu Inflation, Lieferengpässen und hohen Rohstoffpreisen, was das Geschäftsklima etwas eintrübt. Hiobsbotschaften und Katastrophen prasseln gefühlt im Live-Ticker auf uns ein, das nächste Horrorbild ist nur einen Klick entfernt. Dabei werden die negativen Folgen für das eigene Leben oft falsch bewertet. Die mediale Berichterstattung führt zur Überschätzung tatsächlicher Eintrittswahrscheinlichkeiten. Die Unsicherheit in der Bevölkerung ist groß: Auf der einen Seite sind wir ängstlich und fühlen täglich mit den Menschen, die von den Auswirkungen der Krise härter betroffen sind. Auf der anderen Seite sehnen wir uns wieder nach Normalität und leichter Unterhaltung. Dieser innere Kampf zwischen Überleben und Erleben verlangt von Brands eine hohe Sensibilität, Werben ist momentan ein echter Balanceakt.  

So schrecklich die Lage ist, das Medium TV zieht auch Positives aus der aktuellen Situation. In Krisenzeiten ist die Sehnsucht nach Sicherheit groß und der Mensch zieht sich in die eigenen vier Wände zurück, Cocooning genannt. Hier ist der TV-Bildschirm das Fenster zur Welt. Fernsehen bedient nicht nur die Sehnsucht nach Normalität, nach Verlässlichkeit und Ritualen. Kein anderes Medium bringt so viele Menschen zur gleichen Zeit zusammen – Lagerfeuer is back! 

Innovationskiller Effizienz: Wir müssen Ängste überwinden 

Dieses Bedürfnis nach Sicherheit macht auch vor der Wirtschaft nicht halt. Wir befinden uns in der Optimierungs- und Effizienzfalle. Das Denken ist rückwärtsgerichtet, wir versuchen, die Erfolge von gestern zu konservieren, günstiger zu machen und als Blaupause für ähnliche Projekte und Kampagnen zu benutzen. 80 % der Management-Tätigkeiten sind für Prozess- und Kostenoptimierung reserviert. Doch dieses Sicherheitsdenken steht im Widerspruch zu dem, was eigentlich unsere Strategie sein sollte, denn ohne Mut zum Scheitern gibt es keinen echten Fortschritt. Der größte Innovationskiller ist Effizienz!   

Angst vor Veränderung und dem Unbekannten ist ganz normal. Wir wollen gewinnen, aber die Furcht vor der Niederlage ist oft größer. Nach dem Motto: Lieber den Status Quo beibehalten, dann kann nichts passieren. Dabei sind es die Menschen ohne Angst vor Veränderung, die Geschichte schreiben und Entwicklungen vorantreiben. Wir leben leider in einer Fehlervermeidungskultur, heutzutage macht der Karriere, der am wenigsten Fehler macht. Wir sind Wissensriesen, bestens ausgebildet und Strategiegiganten, doch viel zu häufig reden wir nur und handeln nicht. Als Umsetzungszwerge müssen wir lernen, wieder hungrig zu werden, Träume umzusetzen und mutig zu sein.  

Trends und Thesen - Thema Kreativität

Der Weg aus der Krise: Marken brauchen Kreativität und Purpose 

Neben der Überwindung von innovationsbremsenden Ängsten müssen sich Marken mit der Veränderung von Konsumprioritäten auseinandersetzen. Das große Thema ist Nachhaltigkeit, ökologisch, ökonomisch und sozial. Eine authentische Brandstory mit einer klaren Haltung ist heute unverzichtbar geworden: Marken müssen nicht nur ihre Produkte präsentieren, sondern zeigen, wofür sie stehen. Purpose Marketing ist das Zauberwort. Hier wird die Kommunikation mit Werten aufgeladen, damit die Kundschaft sich über das Produkt hinaus mit den gemeinsamen Werten einer Marke identifizieren kann. 

Um Marketingerfolge in diesem qualitativen Bereich auch sichtbar zu machen, gibt es einen monetär messbaren Wert, den Markenwert. Diesen wiederum kann man nur durch den Einsatz einer anderen, schwer messbaren Einheit steigern: Kreativität. 

Key Takeaway 1: Kreativität als Kapital 

Kreativität treibt nicht nur den Fortschritt voran, sie kann zum wichtigsten Differentiator und wertvollsten Gut der Industrie werden, indem sie echten Mehrwert generiert. Wir müssen umdenken und Kreativität als Kapital verstehen. Sehen wir uns Tesla im Vergleich zu anderen Autoherstellern an, ist eindeutig, dass die Zukunftsformel aus Nachhaltigkeit, Marke und Story besteht. Tesla hat im Vergleich zu allen globalen Automarken nur einen minimalen Anteil an verkauften Fahrzeugen weltweit. Trotzdem wird der Unternehmenswert höher geschätzt als von den 10 erfolgreichsten Automobilherstellern gemeinsam. Ähnlich wie bei Netflix treiben Marke und ihre Story die Unternehmensbewertung.     

In den letzten 1,5 Jahren haben wir große Veränderungen am Markt festgestellt: Kund:innen suchen nach schnellen, direkten und ganzheitlichen Kommunikations-Lösungen. Unternehmen müssen ihren Werbepartnern heute kreative Exzellenz aus einer Hand bieten können. Aus diesem Grund haben wir Anfang des Jahres das Creative House gegründet, eine eigene Full-Service-Kreativ-Agentur, die den gesamten Prozess von strategischer Markenberatung über Kampagnenkonzeption bis zur Produktion aller Creative Assets abdeckt, formatunabhängig und plattformübergreifend. Diese Aufstellung ermöglicht uns, das Thema Werbung mit kreativen Gesamtkonzepten zu revolutionieren. 

Evolution der Werbung: Dyson und GNTM  

Content und Werbung stehen seit jeher in Abhängigkeit zueinander. Auf der einen Seite haben wir den Content, die Formate und Sender. Diese bieten Reichweite, benötigen aber Geld, um Content produzieren zu können. Auf der anderen Seite stehen die Werbepartner, die zwar Geld haben, aber Reichweite benötigen. Wenn man kein Bezahlmodell einsetzen möchte, wie Netflix, Sky oder DAZN, ist Werbung die einzige Möglichkeit, Inhalte reichweitenstark zu verbreiten. Aber wie schaffe ich es, dass sie nicht negativ wahrgenommen wird? Ich kann es mit der altbekannten, auffälligen, manchmal vielleicht etwas aufdringlichen Art der klassischen Werbung versuchen, die den Content unterbricht. Besser ist die kontextuelle Werbung, die neben dem Content läuft. In der nativen Werbung ist sie bereits im Content integriert. Doch an der Spitze der Evolution steht Branded Content, bei dem Werbung und Content verschmelzen.  

Bei Germany’s Next Topmodel und Werbepartner Dyson ist das auf elegante Art gelungen. Neben der TV-Kampagne lief auf den Social Media Kanälen des Kunden die “Dyson Live Experience Show”. Gemeinsam mit ProSieben-Moderatorin Viviane Geppert führte die GNTM-Kandidatin Vivien Sterk, die in der Show den Casting-Job gewonnen hatte, durch eine rund 60 Minuten lange Live-Show mit Experten und Gästen aus dem Germany’s Next Topmodel Umfeld. Über eine integrierte Shopping-Funktion im Livestream konnten die Fans diverse neue Dyson-Produkte direkt kaufen, ein bisschen wie GNTM meets HSE24 auf Social Media. Die Show wurde von einer umfassenden Kampagne begleitet, die von Product Placement über TV Cut Ins, digitalen Ads bis zu Social Media Aufrufen der Creator:innen alles umfasste. Hier wurde durch eine enorme Kreativleistung die perfekte Kombination aus Entertainment, Interaktivität und einer direkten Kaufmöglichkeit entwickelt, die von den Zuschauern nicht als störend wahrgenommen wurde. Die Kampagne war überaus erfolgreich. Natürlich stellt sich die Frage, ob sich das auf jeden Kunden übertragen lässt. Aber dann würden wir wieder in die Effizienzfalle tappen und nicht innovativ denken. Wir müssen Kreativität fördern und tailormade Cases auf jede Brand persönlich zuschneiden. Always choose Creativity over Certainty! 

Key Takeaway 2: Haltung ist die neue Benchmark  

Wer glaubhaftes Purpose Marketing betreiben will, muss neben Kreativität hauptsächlich eines zeigen: Haltung. Die Erwartung der Konsument:innen an Marken haben sich stark verändert, sind anspruchsvoller geworden. Heutzutage führt kein Weg mehr an gelebter Verantwortung vorbei. Laut einer McKinsey Umfrage achten drei Viertel der deutschen Verbraucher:innen beim Einkaufen auf die Nachhaltigkeit der Produkte: von plastikfreien Verpackungen über faire Arbeitsbedingungen und Tierwohl bis zum möglichst niedrigen CO2-Fußabdruck. Je jünger die Konsumenten sind, desto mehr Wert legen sie auf Haltung und Nachhaltigkeit. Über 80% der GenZ geben an, sie würden eher Produkte von Unternehmen kaufen, die sich zu gesellschaftspolitischen Themen positionieren. Besonders relevant sind die Themenbereiche Rassismus, Tierschutz und Klimawandel. Die Hälfte der GenZ Befragten sehen eine klare Haltung von Marken zu diesen Themen als wichtig an.

Wer Haltung zeigen will, muss den ganzen Prozess erleb- und anfassbar machen. Die Zeiten, in denen Unternehmen eine gesellschaftspolitische Haltung als schmückendes Beiwerk vermarkten konnten, sind vorbei. Kund:innen und Mitarbeiter:innen fordern eine transparente Kommunikation und Einblicke in die Entstehung der Produkte, Ressourcen, Lieferketten, Absatzmärkte und Arbeitsbedingungen. Die Buzzwords Haltung und Purpose wurden durch ihre Omnipräsenz in den Unternehmenswerten etwas verwässert. Aber Greenwashing wird schnell durchschaut und kann einer Brand irreparablen Schaden zufügen. Authentizität und Ehrlichkeit sind die Basis guten Purpose Marketings, die Positionierung gelingt nur, wenn sie glaubwürdig ist und auch im eigenen Unternehmen gelebt wird.  

Haltung heißt Handeln 

Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen Prozesse beschleunigt und die Flexibilität erhöht werden. Wer lange zögert und Kampagnen erst von allen Seiten absichern will, kann in Situationen, in denen Aktualität wichtig ist, keine Haltung zeigen. Hier bremsen uns erneut das Bedürfnis nach Sicherheit und die Angst vor Fehlern aus. Wir müssen weniger kopflastig planen und testen, sondern aus dem Bauch heraus und mit Herz entscheiden. Das Bauchgefühl ist der beste KPI. Man muss nur den Mut haben, sich wieder öfter darauf zu verlassen. 

Die perfekte Kombination aus Kreativität und Purpose Marketing: Die Flutwein-Kampagne 

Ein gutes Beispiel dafür, dass schnelles, direktes und unbürokratisches Handeln sehr viel mit der Haltung eines Unternehmens zu tun hat, ist unsere Flutwein-Kampagne. Als 2021 das Ahrtal von der Flutkatastrophe getroffen wurde, waren die Schäden unermesslich. Natürlich materiell, aber vor allem auch menschlich. Die lokalen Winzer dort hatten alles verloren, bis auf ein paar verschlammte, für den Verkauf unbrauchbare Flaschen. Wir haben diese Flutwein-Flaschen zur Grundlage einer umfangreichen, kreativen aber auch sensiblen Kampagne gemacht und so mit Kreativität und Storytelling aus etwas Unbrauchbarem etwas sehr Begehrenswertes geschaffen.  

Video Flutwein Case

Gemeinsam mit verschiedenen Partnern haben wir aus dem Nichts eine begehrte Marke kreiert, mit fast 50 % gestützter Markenbekanntheit. Inzwischen werden einzelne Flaschen zu Rekord-Preisen von bis zu 30.000 Euro gehandelt. Davon kommt jeder Cent dem Wiederaufbau der Winzer zugute. Die Kampagne war Purpose Marketing at its best: In einer Krise wurde mit viel Kreativität, Schnelligkeit und Engagement authentisches und glaubwürdiges Marketing betrieben, das nicht nur tatsächliche Unterstützung für die Betroffenen generiert hat, sondern dank internationaler Anerkennung und Auszeichnungen den Markenwert enorm steigern konnte.  

Fazit 

Kreativität ist klar krisenresistent. Trotz anspruchsvoller Zeiten dürfen wir nicht in die Effizienz- und Optimierungsfalle treten, denn nur mit Mut zum Scheitern können innovative Ideen entstehen. Kreativität hilft uns dabei, Herz und Haltung zu zeigen. Nachhaltiges Engagement ist für Marken heutzutage ein Muss, an authentischem und transparentem Purpose Marketing führt kein Weg mehr vorbei. Die Kundschaft muss sich über das Produkt hinaus mit den gemeinsamen Werten einer Brand identifizieren können. Das funktioniert nur auf emotionaler Ebene, wir müssen das Bauchgefühl wieder entdecken. Kurz gesagt, wer sich nur eine Sache merken will: Bauch schlägt Kopf und Emotionalität schlägt Rationalität. 

  

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Tom Schwarz

Tom Schwarz ist seit 1. Juni 2016 Geschäftsführer bei der SevenOne AdFactory, dem Kreativvermarkter der ProSiebenSat.1 Media SE. Anfang 2022 gründete er die Full-Service-Kreativagentur Creative House, als Unit der SevenOne AdFactory, die Kundenbedürfnisse in Tailormade-360°-Kampagnen übersetzt. Zuvor verantwortete der Diplom-Designer knapp fünf Jahre lang die …

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