Klaus-Dieter Koch ist Managing Partner und Gründer der Markenstrategieberatung BrandTrust. Seit mehr als 25 Jahren berät er Unternehmen darin, wie sie ihren Wert mithilfe ihrer Marke steigern können. Im Kontext von Debatten rund um die Vorfälle in Chemnitz oder der Me-Too-Bewegung wollten wir von ihm wissen, ob Haltung zu gesellschaftlichen oder politischen Themen zeigen, unter Marken aktuell en vouge ist, welche Risiken es gibt und worauf Unternehmen unbedingt achten sollten.
Nein, diesen Eindruck habe ich eher nicht. Es stimmt schon, dass aktuell das Gefühl einer aufgeheizten Stimmung verbreitet ist. Dies gilt weltweit, vor allem aber in den Ländern, in denen es ausgebildete Markensysteme gibt. Hier liegt es dann auch nahe, Haltung zu zeigen. Nur passiert das wahrscheinlich aus anderen Motiven als die meisten Menschen vermuten. Aber als Massenphänomen, bei dem jetzt plötzlich jeder Position bezieht, sehe ich es nicht.
Da gibt es zwei Motive – intrinsische und extrinsische. Ben & Jerry’s zum Beispiel ist ein schönes Beispiel für intrinsische Motivation. Die Marke entstand aus der Hippie-Kultur, sie ist stark verwurzelt bei Themen wie einer besseren Welt oder hohem Respekt vor Lebewesen. Wenn so ein Unternehmen Position bezieht, dann ist das glaubwürdig, weil Markenkern und das ganze Verhalten der Marke stimmig dahinter stehen. Ähnlich verhält es sich mit der Lufthansa: Das Unternehmen hat Mitarbeiter aus hundert Nationen. Wenn sich so eine Firma gegen Rassismus positioniert, dann ist das extrem glaubwürdig. Anders verhält es sich mit extrinsischen Motiven. Hier handeln Unternehmen aus Berechnung, erhoffen sich dadurch mehr Marktanteil, eine bessere Reputation, mehr Social Media Likes und Sympathie. Das sind dann oft sehr durchschaubare Aktionen. Aus markenstrategischer Sicht ist davon Abstand zu nehmen, denn am Ende durchschauen Kunden solche Motive sehr schnell.
Das hängt von der Ambition des Unternehmens ab. Ist das vordergründige Ziel in irgendeiner Form einen Buzz zu kreieren, dann sind solche Reizflächen natürlich gerne gesehen. Nur bleibt der Effekt dabei oft aus, solange ein Unternehmen jung und klein ist und aus einer Nische heraus agiert. Wenn das Ziel schnelles Wachstum ist, dann hilft das Stellung beziehen den Start-ups nicht dabei. Es dauert einfach zu lange, bis die Menschen gelernt haben, dass hier eine Haltung gibt, die auch nachhaltig vertreten wird. Positioniert sich das Unternehmen jedoch von Anfang an und aus eigenem inneren Antrieb klar gegenüber einem Thema – dann sind wir hier schnell bei dem Schlagwort Authentizität, und diese ist durchaus auch für Start-ups relevant. Der Virgin-Gründer Richard Branson ist ein gutes Beispiel, wie man dieses Vorgehen konsequent und glaubhaft vertritt.
Ja, hier gibt es ganz eindeutig Unterschiede, aber das liegt eher in der Soziomentalität des jeweiligen Bürgertums. Die sogenannte Citizenship und das bürgerschaftliche Engagement sind in den USA traditionell wesentlich stärker ausgeprägt als bei uns. In Deutschland und Europa delegiert man in Sachen bürgerschaftliches Engagement sehr viel an den Staat, an NGOs oder an Parteien. In den USA gibt es hier eine völlig andere Kultur. Diese fördert dort auch eher, dass Prominente oder Unternehmer in die Politik gehen, politische Ämter übernehmen und sich politische und gesellschaftlich stark engagieren. In Deutschland kommt das so gut wie nie vor.
Hier spielt auf jeden Fall wieder das Thema Glaubwürdigkeit und extrinsische und intrinsische Motivation des Unternehmens eine große Rolle. Wenn ein Unternehmen durch die Stellungnahme eben auch Angriffsfläche bietet, dann entstehen diese Rückschläge. Das ist völlig normal, teilweise auch beabsichtigt und vor allem auch von vornherein einkalkuliert. Lassen Sie mich das oben genannte Beispiel von Richard Branson aufgreifen: Er ist über all seine Unternehmungen hinweg konsequent als Entrepreneur mit linkem Wertesystemen bekannt. Das hat dem Mythos der Marke Virgin kurzfristig immer mal wieder eine Delle verpasst, auf lange Sicht diese aber jenseits des aktuellen politischen Milieus klar verortet. In Deutschland sehe ich so etwas kaum. Siemens-Chef Joe Kaeser ist da vielleicht eine der wenigen Ausnahmen.
Bei der ganzen Thematik sollte man als Marke cool bleiben und sich nicht in jede Ecke scheuchen lassen. Wenn ein Unternehmen mit dem Gedanken spielt, gesellschaftliche oder politische Missstände zu thematisieren, dann sollte man es nicht aus dem Affekt heraus tun – extrinsische Motive sollten keine Rolle spielen.
Ein solches Vorgehen wird von Kunden aus Erfahrung schnell entlarvt, und diese Unternehmen halten das auch oft nicht lange durch. Sobald Nachfragen von Journalisten kommen und die Kunden etwas genauer hinsehen, bricht das Konstrukt ganz schnell in sich zusammen. Wenn Unternehmen Stellung beziehen wollen, dann muss die Überzeugung auch wirklich im Markenkern verankert sein. Nur dann kann die Message auch über lange Zeit glaubhaft gespielt werden, und nur dann zeigt sich eine Auswirkung auf die Markenwahrnehmung.
Mit politischen Statements sollten sich Marken, die in unserer Soziomentalität verortet sind, – wenn möglich – eher zurückhalten.
Ich würde schon sagen, dass es eine Art Wellenbewegung ist. In der aktuell aufgeheizten Stimmung mit ihren Unberechenbarkeiten und Extremen, ist es aktuell tatsächlich ein weltweites Phänomen, das auch bisher nicht gekannte Reaktionen von Marketingabteilungen herausfordert. Solange dieser Zustand anhält, wird auch das Stellung beziehen der Unternehmen anhalten. Allerdings ist hierbei, wie schon angesprochen, der soziomentale und der soziokulturelle Kontext wichtig. Dabei werden wir hier in Europa und Deutschland aus genannten Gründen weitgehend zurückhaltender agieren als die offensiveren und positionierungsfreudigeren Amerikaner.