Brand Building durch M&A: Interview mit M&A-Experte und Outfitter.com-Mitbegründer Jürgen Schwarz

Nach einer Phase relativ „leichten“ Wachstums und attraktiver Margen stehen unabhängige E-Commerce-Anbieter zunehmend unter dem Druck der E-Commerce-Giganten. Eine Antwort ist der Aufbau einer starken Kundenbasis und Marke durch M&A, sagt Jürgen Schwarz, Partner bei Capitalmind für Retail & Consumer Goods.

Jürgen, wie kann M&A dabei helfen, eine Marke aufzubauen?

M&A kann die Markenbildungsstrategie eines Online-Händlers maßgeblich unterstützen, entweder durch die Beschaffung von Wachstumskapital oder durch die Gewinnung eines strategischen Partners mit starker Reichweite, z.B. durch eine breite (soziale) Medienpräsenz. Eine besondere Variante von M&A ist eine Medienpartnerschaft mit einem Unternehmen wie SevenVentures, die für die Unterstützung einer Markenbildungsstrategie von enormer Relevanz ist. Diese Media-for-Equity und Media-for-Revenue-Partnerschaften sind die treibende Kraft hinter bekannten Marken wie Zalando und Lieferando.

Als M&A-Berater haben Sie den Verkauf von outfitter.com an SIGNA Retail (Inhaber von Karstadt Sport) verhandelt – und sind auch Mitbegründer. Was wollten Sie mit dem Deal erreichen?

Outfitter sah sich mit zunehmender Konkurrenz durch mehrere andere Online-Teamsport-Marktteilnehmer konfrontiert, die von Finanzinvestoren stark unterstützt wurden. Wir waren besorgt, über kurz oder lang nicht mehr konkurrenzfähig genug zu sein und unsere starke Marktposition zu verlieren. Unser Ziel war es, die Marke Outfitter zu stärken und unsere Operational Excellence zu verbessern. Diese strategischen Maßnahmen erforderten eine umfangreiche Finanzierung, die wir mit einem neuen Partner realisieren wollten. Deshalb haben wir einen internationalen M&A-Prozess aufgesetzt.

Damals benötigte SIGNA Retail eine verbesserte E-Commerce-Lösung für Karstadt Sports – plus das damit verbundene Online-Marketing-Know-how. Für viele stationäre Einzelhändler ist es sehr schwierig, eigene E-Commerce-Lösungen zu entwickeln. Tatsächlich zeigen frühere Beispiele, dass ihre eigenen organischen Bemühungen häufig erfolglos bleiben. Auf der anderen Seite haben wir mehrere Fälle erlebt, in denen traditionelle Einzelhändler ein E-Commerce-Geschäft erworben haben, das erfolgreich an ihre bestehenden Aktivitäten angegliedert wurde.

Wie sahen die Ergebnisse aus und was waren die wichtigsten Erkenntnisse? 

Karstadt Sport verfügt jetzt über einen modernen Online-Shop und Outfitter hat Zugang zu Wachstumskapital und einen starken Partner für den weiteren Ausbau seiner Marke. Was die wichtigsten Erkenntnisse betrifft, so ist es meiner Meinung nach wichtig, dass das zu erwerbende Unternehmen in seiner strategischen Geschäftsausrichtung genügend Unabhängigkeit behält. Wichtig ist auch, dass es auf zwischenmenschlicher Ebene funktioniert; wir hatten Glück, dass es in unserem Fall so war.

Das führt uns zu einer wichtigen, allgemeineren Frage: Wie wird der Wert einer Marke während des M&A-Prozesses berechnet?

Entscheidend für mich ist die Beziehung der Marke zu ihren Kunden. Hat die Marke ein genaues Bild von ihren Ziel- und Ist-Kunden und betreibt sie gezieltes Marketing für diese Gruppe? Wie viel Prozent des organischen und bezahlten Traffics wird in Umsatz umgewandelt? Wie viele Nachbestellungen und Stammkunden gibt es? Wie haben sich die Kundenakquisitionskosten in den vergangenen Monaten und Jahren entwickelt? Die Antworten auf diese Fragen lassen auf die Stärke der Marke schließen und das auch im Kontext einer starken Positionierung im Vergleich zu Wettbewerbern. Grundsätzlich gilt: Je größer die Kundenbindung, desto wertvoller ist eine Marke.

Zum Abschluss: Wie können es Ihrer Meinung nach kleinere und mittlere Unternehmen überhaupt noch schaffen im Wettbewerb mit einem Multi-Milliarden-Dollar-Marktplatz wie Amazon konkurrenzfähig zu bleiben?

Mittlerweile ist Amazon zum ultimativen Anlaufpunkt für Online-Bestellungen und Produktsuche geworden. Amazon Prime „schließt“ seine Kunden ein. Fast 40 Prozent aller Online-Einzelhändler in den USA sind bereits bei Amazon. Eine Möglichkeit, das Amazon-Universum zu umgehen, ist die Schaffung einer direkten Kundenbindung durch die Kommunikation von Inhalten und Markenkern über (soziale) Medienkampagnen und die Bereitstellung eines Best-in-Class-Services. Eine weitere Möglichkeit der Kundenbindung besteht darin, ein exklusives Produktsortiment anzubieten, z.B. eine limitierte Kollektion von führenden Herstellern, Marken und/oder Eigenmarken. Außerdem sollten Anbieter versuchen, Kunden über besondere Events zu gewinnen, zu unterhalten und damit zu binden. 1-2-3.tv ist ein gutes Beispiel für einen Händler, der Unterhaltung über (umgekehrte) Auktionen anbietet. Statt Standard-Teleshopping-Shows finden den ganzen Tag über kontinuierliche Auktionsveranstaltungen statt – im Fernsehen, auf der Website, auf mobilen Endgeräten und in der App. Diese Events sichern eine starke Kundenbindung. Im Vergleich zu den direkten Wettbewerbern HSE24 und QVC, die beide vergleichbare Sortimente anbieten, sind die Kunden-Kennzahlen von 1-2-3.tv deutlich besser. Über dieses ziemlich besondere Einkaufserlebnis konnte sich der Sender nämlich einen treuen Kundenstamm aufbauen – und das auch in direkter Konkurrenz zu Amazon.

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Jürgen Schwarz ist Head of Retail & Consumer Business Practice bei Capitalmind in Deutschland und verfügt über mehr als 17 Jahre Erfahrung in der internationalen M&A-Beratung großer Corporates, kleinerer Familienunternehmen und Private Equity Investoren. Zuvor war er Mitbegründer und Geschäftsführer der Outfitter GmbH (outfitter.com, Schwerpunkt …

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