Die Zukunft des Gender-Marketings

Geschlechteridentitäten- und rollen befinden sich in einem ständigen Wandel. Nirgendwo wird das so deutlich wie im Marketing. Aber sollten Marketer darauf am besten mit geschlechtsneutralen Strategien reagieren oder sollte nicht vielmehr das Gender-Marketing optimiert werden?

Der Trend zum geschlechtsneutralen Marketing

Unser Geschlechterverständnis ist heute flexibler als früher. Während Transgender fast schon zum popkulturellen Mainstream zählen, hat auch die #MeToo-Bewegung in den letzten Jahren zu einer großen gesellschaftlichen Debatte über das Verständnis von Geschlechterrollen geführt. Diese Entwicklung spiegelt sich inzwischen auch in den Kaufgewohnheiten von Jugendlichen wider: In einer Umfrage von JWT Intelligence gaben lediglich 44 Prozent der befragten 13- bis 20-Jährigen an, dass sie darauf achten, nur geschlechtsspezifische Kleidung zu kaufen.

Immer mehr Marken reagieren auf diese Entwicklung. Die spanische Modekette Zara designte zum Beispiel Anfang des Jahres eine geschlechtsneutrale Modelinie für Teenager, während die Kampagne „Dude or Diva“ von Coca-Cola Jugendliche mit speziellen Getränkedosen ermutigen sollte, sowohl die männliche als auch die weibliche Seite ihrer Persönlichkeit auszuleben. Den vielleicht kühnsten Schritt in jüngster Zeit wagte die Make-up-Marke CoverGirl, die kürzlich ihre erste Kampagne mit einem männlichen Model ankündigte: dem Make-up-Künstler und Social Media-Star James Charles.

Die Zukunft des Gender-Marketings
Quelle: Cosmopolitan

‍Dabei sind es längst nicht nur Mode- und Make-up-Marken, die zunehmend versuchen, neue Wege zu gehen. Immer mehr Eltern haben sich in jüngster Zeit von Marken abgewandt, die mit klassischen Geschlechterklischees werben, da auffiel, wie sehr sich Spielzeug und Kleidung für Jungen und Mädchen in Qualität und Preis unterscheiden. So sah sich der Schuhhersteller Clarks im vergangenen Jahr mit einer Vielzahl von Beschwerden konfrontiert. Der Anlass: eine als sexistisch empfundene Schuhkollektion für den Schulalltag mit den Namen „Dolly Babe“ für Mädchen und „Leaders“ für Jungen. Der US-Einzelhändler Target wiederum hat erst kürzlich angekündigt, künftig geschlechtsneutrale Produktlinien für Kinder einführen zu wollen. Der britische Einzelhändler John Lewis will in Zukunft auf Jungen- und Mädchen-Labels verzichten.

Warum neutrales Gender-Marketing gut für die Marke ist

Prof. Susanne Stark, Expertin für Marketing und Gender an der Fachhochschule Bochum, empfiehlt insbesondere Unternehmen mit Kinderprodukten den Schritt zum geschlechtsneutralen Marketing: „Bei jüngeren Kindern befindet sich die Persönlichkeit noch in einem Entwicklungsprozess, sie suchen geradezu nach Orientierung in ihrer Umwelt. Sie wollen wissen, wie sich ein ‚richtiger‘ Junge oder ein ‚richtiges‘ Mädchen verhält.“

Dabei sind es gerade Produkte aus den Bereichen Mode, Kinderspielzeug und Kosmetik, deren Marketing in der Vergangenheit stark auf ein bestimmtes Geschlecht ausgerichtet war. Was aber müssen Marken beachten, deren Ziel es ist, fortschrittliches Gender-Marketing für ihre Marken zu etablieren? 

„Diese Marken sollten am besten ganz auf klassische Rollenklischees verzichten und eine Marketing-Strategie entwickeln, von der sich sowohl Männer als auch Frauen angesprochen fühlen“, so Stark. 

Stark verweist als Positivbespiel auf die Baumarktkette Hornbach. Das Marketing des Unternehmens zeigt moderne Bilder von Männern und Frauen, die in Arbeitskleidung und bei handwerklicher Arbeit am Eigenheim abgebildet werden.

Die Zukunft des Gender-Marketings
Quelle: Hornbach.ch

‍Auch Nivea leistet einen hilfreichen Beitrag, wenn es um das Aufbrechen klassischer Geschlechterrollenmodelle geht, so Stark. In den neusten Kampagnen zum Mutter- und Vatertag zeigt die Marke, wie unterschiedlich Mütter und Väter ihre Kinder betreuten. Gleichzeitig versucht Nivea zu vermitteln, dass jeder Mensch vor den gleichen Herausforderungen im Leben steht. 

Die Gillette-Kampagne „Für das Beste im Mann“: Gender-Marketing 2.0?

‍Gillette sorgte Anfang des Jahres für Diskussionen in der Branche, als sie ihre Kampagne „The best men can be“ (zu Deutsch: Für das Beste im Mann) als Reaktion auf die #MeToo-Bewegung veröffentlichte. Die Werbespots zeigten verschiedene Alltagsszenarien, in denen deutlich wird, dass Männer an sich arbeiten und „besser“ werden müssen: Zum Beispiel, wenn sie Frauen auf der Straße nachrufen oder ihre weiblichen Kollegen in Meetings nicht zu Wort kommen lassen. Viele Kommentatoren kritisierten Gillette: Die Marke versucht, sich an die Debatte zu hängen und ihre Kernzielgruppe zu belehren. In den sozialen Netzwerken war die Kampagne ein Aufreger-Thema und viele, vor allem männliche Nutzer drohten damit, Gillette-Produkte nicht mehr zu kaufen. 

Richtet sich die Kampagne, die schlechte Verhaltensweisen vieler Männer thematisiert, unterschwellig an Frauen? Neueste Zahlen belegen, dass sich die Kontroverse für die Marke gelohnt hat: 51 Prozent der Befragten gaben an, die Kampagne als positiv empfunden zu haben. Während 28 Prozent der befragten Frauen den Spot als unangenehm empfanden, richtete sich dieses Empfinden doch vor allem in Richtung der dargestellten männlichen Verhaltensweisen als gegenüber den TV-Spots selbst. 

„Die Kampagne war gut durchdacht. Obwohl das Ganze im Shitstorm endete, war das Unternehmen gut vorbereitet und konnte entsprechend reagieren. Den Verantwortlichen war bewusst, dass sie so ein Teil ihrer Zielgruppe gegen sich aufbringen. Auf der anderen Seite konnten Kunden dazugewonnen werden“, kommentiert Expertin Susanne Stark.

Indem sie sich die Aufregung rund um die #MeToo-Debatte zu Nutze machte, ist es der eher männerorientierten Marke Gillette gelungen, insbesondere auch weibliche Zuschauer zu erreichen.

Tipps für gelungenes Gender-Marketing

Professor Stark rät Marken dazu, am besten einen Weg zu finden, der sowohl Frauen als auch Männer anspricht und sich von Stereotypen gänzlich verabschiedet: „Unternehmen sollten darüber nachdenken, wie sie individuell mit dem Thema Geschlechterbilder umgehen wollen. Es geht darum, Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern herauszustellen, aber gleichzeitig die Unterschiede zu zelebrieren – ganz ohne auf abgedroschene Rollenklischees zurückzugreifen.“

Wichtig, so erklärt die Expertin abschließend, ist es vor allem, sich nie über eine Geschlechtergruppe lustig zu machen. Hier und da kleine, augenzwinkernde Spitzen zu setzen, ist eine Sache. Das Ganze wird aber gefährlich, wenn man versucht, ein bestimmtes Geschlecht vorzuführen.

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