Eine Analyse der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) belegt, dass nur ein Fünftel aller Top-Jobs im Handel und in der Konsumgüterbranche von Frauen besetzt sind. Die Anzahl der Frauen an der Spitze nimmt zudem mit steigender Unternehmensgröße ab. In der Marketing-Branche waren Frauen jedoch schon immer relativ stark vertreten, hier liegt die Quote weiblicher Führungskräfte im Durchschnitt bei 34 Prozent*.
Wir haben mit fünf weiblichen Top-Marketers darüber gesprochen, welche Eigenschaften Frauen in diesen Spitzenpositionen ausmachen.
Jutta Meyer, Executive Vice President Marketing & Creation bei der ProSiebenSat.1 Gruppe, hält Empathie für eine der wichtigsten Fähigkeiten, um in der heutigen Marketingwelt erfolgreich zu sein:
Untersuchungen zeigen, dass gerade Frauen oft ein hohes Maß an Empathie besitzen: Sie verstehen Bedürfnisse und Sichtweisen anderer Menschen und haben ein gutes Gespür für deren Gefühle. Empathie bedeutet nicht ,Sympathie‘ oder ,nett sein‘. Vielmehr ist es eine echte Fähigkeit, die es erlaubt, die Auswirkungen von Entscheidungen und Handlungen auf KonsumentInnen oder MitarbeiterInnen zu antizipieren und Strategien dementsprechend zu entwickeln. Empathie beinhaltet auch das erfolgreiche Scannen großer quantitativer und qualitativer Daten, um zu sortieren, welche Informationen wichtig und welche unwichtig sind. Eine ausgeprägte Empathie ermöglicht, Signale und sich abzeichnende neue Muster zu erkennen, Zusammenhänge zu verstehen und sich bewusst zu machen, dass etwas Wichtiges geschieht.
Die Vorteile dieser Fähigkeit im Marketing sind überall präsent: Bei der Entwicklung von Innovation geht es darum, die Bedürfnisse der KonsumentInnen genau zu verstehen. Herausragende Innovationen entstehen, wenn man sich wirklich in die Lage der VerbraucherInnen hineinversetzt. Aber nicht nur das: Wenn man das menschliche Umfeld, in dem man seine Organisation oder seine Marken führt oder in dem man Geschäfte aushandelt, perfekt versteht, sind die eigenen Entscheidungen definitiv besser, man entwickelt seine MitarbeiterInnen besser, kommuniziert klarer und wird in Verhandlungen brillieren, weil man die Wünsche, Absichten und Risikobereitschaft des Gegenübers klarer wahrnimmt.
Lea-Sophie Cramer, Gründerin und Beiratsmitglied von AMORELIE findet, wer unternehmerisch erfolgreich sein will, braucht Frauen in Top Marketing-Jobs:
Dass Frauen in Top-Marketingpositionen repräsentiert sein sollten, steht für mich aus drei Gründen außer Frage:
Erstens kontrollieren Frauen 70-80 Prozent der gesamten Verbraucherausgaben. Sie treffen in der Regel die Kaufentscheidungen und kaufen nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familie, ihren Haushalt und ihren Partner ein. Als weibliche Top-Marketing-Managerin hat man einen besseren Einblick und Zugang zu denen, die die Konsumausgaben kontrollieren – den Frauen. Zudem sehen Frauen, auch aufgrund von persönlicher Erfahrung, Potenzial in Produkten, das Männer unter Umständen einfach nicht erkennen können – man denke beispielsweise an Periodenunterwäsche wie die von ooshi.
Zweitens machen gemischte Teams 19 Prozent mehr Umsatz durch Innovation. Ein vielfältigeres Top-Marketingteam erzielt schlichtweg bessere Ergebnisse.
Drittens sind bei Marketingentscheidungen gerade die Eigenschaften und Fähigkeiten besonders wichtig, die man typischerweise mit Frauen assoziiert. Darunter fallen zum Beispiel Innovationskraft, Kreativität oder Einfühlungsvermögen. Top-Marketingteams müssen diese Kompetenzen besitzen.
Natürlich hängt die Leistung nicht vom Geschlecht ab, sondern von den Fähigkeiten und dem Einsatz der jeweiligen Person. Deshalb gibt es natürlich auch großartige männliche Marketingfachleute. Aber es hat nichts mit Altruismus oder Gleichberechtigung zu tun, eine Frau für eine Top-Marketingposition einzustellen. Es geht einfach darum, die besten Geschäftsentscheidungen zu treffen.
Jennifer Schwade, Geschäftsführerin des Münchner Shapewear-Start-ups shape me, glaubt, dass weibliche Marketer sich stärker auf ihre Intuition verlassen und Themen aus verschiedenen Perspektiven betrachten:
Generell bin ich der Meinung, dass jedes Unternehmen Frauen, genauso wie Männer braucht, ganz egal um welchen Bereich es geht. Ich entscheide mich nicht für Frau oder Mann, sondern für eine bestimmte Person. Bei uns arbeiten tatsächlich mehr Frauen als Männer, aber für das Marketing, dass bei uns sehr online fokussiert ist, ist ein Mann der Verantwortliche.
Als weibliche Gründerin unterstütze und fördere ich Frauen natürlich sehr, weil ich mit der Zeit gelernt habe, dass man gemeinsam noch stärker ist und sich gegenseitig pushen und supporten kann und muss. Männliche Gründer nutzen Netzwerke und Kontakte viel stärker als Frauen und scheuen sich weniger, umso wichtiger ist es, dass auch wir Frauen uns zusammenschließen und über unser Business reden. Frauen gehen viele Themen oft von einem anderen Blickwinkel aus an, nutzen ihr Bauchgefühl und ihre Intuition. Ich finde dass Frauen darauf noch mehr vertrauen sollten.
Da vieler meiner Mitarbeiterinnen genauso wie ich unserer Zielgruppe entsprechen fällt es uns auf jeden Fall leichter uns in unsere Kunden & Kundinnen hineinzuversetzen. Da wir ein kleines Team sind tauschen wir uns so oft es geht aus und holen uns die Meinung unsere Mitarbeiterinnen ein, egal in welchem Bereich sie arbeiten.
Für Aimie-Sarah Carstensen, Gründerin und CEO der Edutainment-Marke ArtNight, erfordert Marketing Innovation, Kreativität und Teamwork – und darin brillieren weibliche Marketingprofis:
Frauen in Top-Marketing-Positionen sind extrem wichtig, um eine Vielfalt an unterschiedlichen Ansichten und Perspektiven im Team abzudecken und letztlich auch umzusetzen. Sie gehen oftmals anders an eine Situation heran als Männer und versuchen verschiedene Blickwinkel einzubeziehen. Ich denke, gerade Eigenschaften wie Offenheit, Kreativität, Neugierde aber auch ein Organisationstalent zu sein, sind entscheidend, wenn es darum geht, ein Unternehmen weiter voranzutreiben und Innovationen zu entwickeln.
Weiterhin sind Frauen oft mutig, Neues auszuprobieren und sich in Gesprächen neue Ideen und Sichtweisen einzuholen. Und gerade im Marketing braucht es neben datengetriebenen Vertretern vor allem auch die kreativen Köpfe und kommunikationsstarke Personen. Vor allem die Kommunikationsstärke ist eine erfolgreiche Eigenschaft von Frauen.
Weiterhin spielt Empathie eine große Rolle, da man auch im Marketing eng im Team arbeitet. Sich in andere Teampartner hineinversetzen und in herausfordernden Phasen auch Einfühlungsvermögen zeigen zu können, ist ein bedeutender Vorteil, um gerade in schwierigen Zeiten effektiv und produktiv an gemeinsamen Projekten und Tätigkeiten zu arbeiten. Frauen nehmen Spannungen im Team meist schneller wahr und können daher auch schneller reagieren. Um den so wichtigen Teamzusammenhalt zu stärken sind Frauen oft die Personen, die Lob aussprechen und Erfolge jeglicher Art wertschätzen. Ihnen ist ein gegenseitiges Motivieren genauso wie ein gegenseitiges Inspirieren wichtig.
Janina Kraus, Teamlead für den Bereich CRM beim Beauty Online Shop Flaconi, sieht den Schlüssel zum Erfolg in der Marketingbranche in der Fähigkeit von Frauen, in Emotionen und in Daten zu denken sowie sich in die Lage der KundInnen zu versetzen:
Meines Erachtens zählt das Marketing – aufgrund seiner Vernetzung zu technischen, datenbezogenen sowie emotionalen Bereichen im Unternehmen – zu einer der komplexesten Disziplinen. Es verlangt die Kombination der richtigen Fähigkeiten und Stärken sowie das Bilden von Synergien. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass insbesondere Frauen es durch ihr komplexes Denkvermögen verstehen, rationalen Problemstellungen oder Entscheidungen mehr Dimensionalität zu verleihen.
Zudem verfügen Frauen häufig über ein starkes Empathievermögen, das es ihnen erleichtert, verschiedene Perspektiven einzunehmen und sich in das Denken und Handeln von anderen hineinversetzen zu können. Diese Fähigkeiten können auf verschiedenen Ebenen einen enormen Mehrwert schaffen – insbesondere im Marketingkontext sind sie essenziell. Die meisten Kaufentscheidungen werden von Frauen getroffen, daher ist es wichtig bei der Gestaltung und Kommunikation von Werbemitteln sich in den Kopf einer Frau hineinversetzen zu können.
Farina Schurzfeld, Mitgründerin und CMO der Online-Plattform für psychische Gesundheit Selfapy, misst eher dem Charakter als dem Geschlecht eine entscheidende Rolle bei:
Das wichtigste Merkmal für einen erfolgreichen CMO sind Kommunikationsfähigkeiten und Kreativität in Bezug darauf, wann man was gegenüber wem sagt. Dass wir Frauen dazu neigen, mehr zu reden, gibt uns möglicherweise die Oberhand. Im Allgemeinen sehe ich jedoch nicht, dass das Geschlecht eine große Rolle spielt. Vielmehr ist das Gefühl, die Authentizität und die Absicht entscheidend.
Ein guter CMO hat meiner Meinung nach eine langfristige Sicht auf die Markenpositionierung sowie ein strategisches Verständnis für alle Marketingkanäle und wie diese in einem optimalen Marketing-Mix auf Wachstum ausgerichtet werden können. Außerdem braucht man einen kollaborativen Ansatz, um die jeweiligen Maßnahmen in andere Teams zu integrieren sowie diese in die Gesamtstrategie des Unternehmens einzubinden. Und zu guter Letzt die Fähigkeit, intern, aber auch extern authentisch und effektiv zu kommunizieren sowie langfristige Beziehungen zu Stakeholdern aufzubauen.
*https://fashionunited.ch/nachrichten/business/pwc-studie-frauen-belegen-nur-ein-fuenftel-aller-top-jobs-im-handel/2019110819920