Anfang des Jahres versetzte Social Media-Urgestein Facebook Unternehmen und Publisher in Aufregung als es Änderungen an seinem Newsfeed-Algorithmus ankündigte. Der Plan: Freunden, Familien und lokalem Content soll in Zukunft mehr Raum gegeben werden. Im Interview erklärt Social Media-Experte Torsten Enders, was die Anpassungen gerade auch für Start-ups bedeuten, gibt hilfreiche Tipps und verrät, warum einige Marken die Änderungen aus seiner Sicht besser verkraften werden als andere.
Facebook hat, wie auch schon in der Vergangenheit, die Filtermechanik hinter dem Newsfeed angepasst. Damit erhalten organische Beiträge von Unternehmen und Medien in Zukunft in der Regel weniger Sichtbarkeit. Diese Änderungen haben zum Ziel, relevante private Inhalte stärker in den Fokus zu rücken und Facebook zu einer auch künftig für Nutzer relevanten Plattform zu machen. Und das ist wichtig: Jüngere Generationen sind längst nicht mehr so Facebook-fixiert wie frühere Jahrgänge – und ohne Anpassungen würde Facebook auf lange Sicht riskieren, zu wenig neue Nutzer anzuziehen und bestehende Nutzer zu verlieren. Verliert aber Facebook an Relevanz, verlieren auch die Werbetreibenden, da ihre Audience schrumpft. Insofern ist das ein nachvollziehbarer und im Großen und Ganzen positiver Schritt, dessen potenziell schädliche Wirkung sich erst zeigen muss.
Für relevanten Content, also Inhalte, die zu „bedeutungsvollen Interaktionen“ ermutigen, wird es auch weiterhin gute Platzierungen im Newsfeed geben. Unternehmen, die jetzt erst beginnen, ihre Marke auf Facebook zu spielen, können diese Einsicht von vornherein berücksichtigen. Sie sollten darauf verzichten, organische Inhalte auszuspielen, die primär dem Selbstzweck Reichweite/Sichtbarkeit dienen, ohne sich dabei auch um die relevante Zielgruppe zu kümmern. Viel wichtiger ist es doch, die Botschaft, die Marke oder das Produkt mit den spezifischen Kernbotschaften bei der passenden Audience zu verankern – nur so komme ich doch bei den Leuten an, die ich wirklich erreichen will. Das funktioniert mit Paid Social hervorragend.
Marken, Unternehmen und Organisationen haben verschiedene Möglichkeit, den Platz im Newsfeed zu behaupten: sind ihre Inhalte auch abseits einer Kaufabsicht für den Nutzer relevant – das trifft zum Beispiel auf viele Verlagsmedien und Organisationen zu – dann können sie ihre Nutzer ermutigen, die Funktion „Im Newsfeed als Erstes zeigen“ zu aktivieren. Damit ist ein guter Platz sicher. Das gilt natürlich auch für andere Marken, die es schaffen, ihre Fans entsprechend zu aktivieren. Darüber hinaus kann man eine Gruppe mit einer bestehenden Seite verknüpfen. Da auch Gruppen-Inhalte jetzt verstärkt im Newsfeed ausgeliefert werden sollen, könnte dies ein Weg zu stabiler oder vielleicht sogar steigender Sichtbarkeit im Feed sein. Ansonsten rate ich Unternehmen, die bereits eine Strategie verfolgen und ihre KPIs kennen dazu, erst einmal abzuwarten und sich anzusehen, welche Veränderungen sich abzeichnen und welche Schlüsse sich daraus ableiten lassen. Gegensteuern kann man auf Facebook schnell, wenn man erkannt hat, wo sich wirklich Probleme abzeichnen.
Es gibt zahlreiche Beispiele von Marken, die bereits vor Jahren den Schritt in Richtung Paid Social beherzt gegangen sind – und spätestens jetzt zahlt sich das noch einmal aus. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden: Eine Marke, die eine lebendige Community unterhält und mit dieser interagiert, ist für die Fans eine tolle Sache. Aber eine Marke, die ihre Fans mit gut zu den jeweiligen Audiences passenden Contentpieces im Bereich Paid Social unterhält, ist deswegen nicht schlechter, sie adressiert einfach nur ein anderes Bedürfnis bei ihren Fans.
Viele Unternehmen, besonders internationale Marken, leisten sich durchaus beides. Aber egal, welchen Weg eine Marke für sich bevorzugt: Es braucht immer eine ganze Reihe von Nutzer-Interaktionen, bis eine stabile und „persönliche“ Beziehung zu einer Marke entsteht – oder ein Kauf stattfindet. Und dabei ist Facebook, ganz gleich ob mit organischem oder Paid Content, auch nur einer von vielen Bausteinen in einer Onlinestrategie. Die aktuelle Anpassung des Newsfeeds wird daher Marken wie beispielsweise Adidas weniger betreffen, weil hier starke Markenbotschaften via Paid Social ohnehin zum festen Programm gehören und man vermutlich nicht so sehr darauf angewiesen ist, organische Reichweiten zu erzielen wie andere Seitenbetreiber.
Das ist ja eigentlich keine wirkliche Frage von „entweder oder“. Marke ist der wichtigste Differenziator, er ist das A und O. Damit meine Performance-Maßnahmen eine gute Basis haben, sollte ich als Marke zunächst einmal eine gewisse Reichweite und Sichtbarkeit haben oder aufbauen. Ich würde daher in der Regel zunächst dazu raten, eine Marke zu etablieren. Wenn mein Produkt in einem Wettbewerbsumfeld, wie beispielsweise neben anderen Google-Ads, bestehen muss und niemand meine Marke kennt, dann wird es schwierig, die Performance-Maßnahmen zu einem guten Ergebnis zu bringen. Die Frage muss eigentlich lauten: In welchem Channel kümmere ich mich um was?
Hier sollte man sich die Zielgruppe genau anschauen, in User Journeys denken und auf die Touchpoints schauen. Wo finden die Kontakte statt, bei denen ich mit Markenbotschaften gute Ergebnisse erzielen kann? Wo sind die Performancemaßnahmen angebracht, um mein konkretes Angebot in den digitalen Einkaufswagen zu bekommen? Wenn sich mein Portfolio auf eine einzelne Dienstleistung oder eine sehr geringe Anzahl von Produkten beschränkt, ist es natürlich einfacher, meine Sales auch mit dem Ausspielen von eher markennahen Botschaften zu befeuern als bei einem großen Portolio. Auf Facebook bieten sich viele Möglichkeiten, aber ich halte es für fraglich, ob man mit reiner Performancedenke ohne eine sichtbare Marke mittelfristig zu exzellenten Ergebnissen kommen kann.
Der „große“ Trend ist doch, sich in der Aufmerksamkeitsökonomie einen möglichst stabilen Zugang zum Nutzer zu sichern. Das gilt für die Plattformen selbst wie auch für die Werbetreibenden auf denselben. Angesichts einer grassierenden Contentverstopfung der meisten Channels ist das sicher keine einfache Aufgabe.
Aber Plattformen und Technologien entwickeln sich rasant: Vielleicht werden wir in ein paar Jahren wesentlich mehr Inhalte eher hören als sehen – weil sich die Interaktion von Bildschirmen und Bewegtbildern ein Stück weit in Richtung Sprache – also Frage vs. Antwort oder Content-Stream vs. Kommando entwickelt hat. Dann hören wir unserem Feed vielleicht meist nur noch zu und nur dann, wenn wir etwas hören, was uns interessiert, sehen wir uns das tatsächlich noch an. Ich bin gespannt, wie dann der Bildschirm aussehen wird, auf dem wir das tun.