Haßloch ist ganz Deutschland im Kleinformat – und daher hervorragend für Konsumexperimente geeignet. Seit mehr als 30 Jahren testet die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hier Produkte vor ihrer Markteinführung. Ein spannendes Beispiel und Anlass für einen genaueren Blick auf den Sinn und die Möglichkeiten von Produkttests.
Wer wissen möchte, welche neuen Produkte uns zukünftig in den deutschen Verbrauchermärkten erwarten, muss nach Rheinland-Pfalz nahe Mannheim in die verbandsfreie Gemeinde Haßloch fahren. Denn nur was hier bei den Kunden ankommt und gekauft wird, landet später auch bundesweit in den Regalen. Seit 1986 testet die GfK hier Produkte vor ihrer Markteinführung. Aber warum gerade in Haßloch? Weil der Ort und seine knapp 20.000 Einwohner repräsentativ für ganz Deutschland steht: Seine Bevölkerungsstruktur gleicht in fast sämtlichen Kriterien dem nationalen Durchschnitt – ob bei der Altersstruktur, den sozialen Schichten, dem Ausländeranteil, der Haushaltsgröße oder der Kaufkraft. Dementsprechend stimmen die Ergebnisse der Produkttests, die die GfK hier durchführt, auch zu 90 Prozent mit späteren Marktdaten überein.
Wie funktioniert das Konsum-Experiment?
Etwa 3.400 der 12.400 Haßlocher Haushalte sind Teil des marktanalytischen Großversuchs. An den Kassen der Haßlocher Verbrauchermärkte zeigen die Kunden nach dem Einkauf ihre GfK-Karten mit Strichcode vor, sodass diese Produkte anonymisiert an das Marktforschungsinstitut weitergeleitet werden. Die Testteilnehmer selber wissen nicht, bei welchen Produkten es sich letztlich um Testware handelt – diese stehen unauffällig neben allen anderen in den Regalen. Unter diesen ganz normalen und repräsentativen Einkaufsbedingungen kommen pro Jahr zwischen 10 und 15 neue Produkte in „Miniaturdeutschland“ auf den Prüfstand.
Dabei beschränken sich die Testmöglichkeiten nicht nur auf das eigentliche Produkt, wie Franziska Rumpel,GfK-Expertin im Bereich Shopper Solutions, genauer erklärt: „Neben dem Produkt selbst lassen sich auch verschiedene Elemente des Marketing-Mix überprüfen. Welche Wirkung hat eine Handzettelwerbung oder ein zusätzliches Display oder andere PoS-Maßnahmen. Couponing, Sampling, Instore-Radio, Plakatwerbung und Werbung am Einkaufswagensind beispielsweise weitere Testmöglichkeiten, um den Marketing-Mix zu prüfen. Mit zusätzlichen qualitativen Interviews vor Ort lassen sich weitere Risiken oder Potenziale aufdecken, denn der Käufer kann genau im Kauf- oder auch Nichtkaufmoment zu seinen Gründen befragt werden.”
Darüber hinaus bindet die GfK auch das Kabelfernsehen in ihre Analysen mit ein. So war ein weiterer Grund für die Wahl auf Haßloch im Jahr 1986, dass der Ort zu diesem Zeitpunkt bereits zu über 90 Prozent verkabelt war. Seitdem sehen die Haßlocher im örtlichen Fernsehkabelnetz auch eigens gedrehte TV-Spots für die neuen Produkte, die neben den normalen Werbesequenzen eingespeist werden. Diese bekommen allerdings nur die Hälfte der Testteilnehmer zu sehen, während die andere Hälfte als Kontrollgruppe fungiert. Darüber hinaus enthalten einzelne TV-Zeitschriften speziell für Haßloch erstellte Anzeigen für die neuen Produkte.
Lohnt sich der große Aufwand für Produkttests?
Die Ausweitung eines Produkt- und Marketingtests auf einen gesamten Ort klingt nach einem spannenden, aber auch unverhältnismäßig aufwändigen Vorhaben. Steht dieses überhaupt im Verhältnis zu dem Nutzen, den die Testergebnisse liefern? Wenn man bedenkt, dass nach wie vor rund 60 bis 80 Prozent der neuen Produkte scheitern, scheint die Antwort eindeutig Ja zu lauten. Denn obwohl Marken auch und gerade während der Krise gut daran tun, sich mit neuen Innovationen auf dem Markt zu etablieren und von der Konkurrenz abzusetzen, dürfen sie dabei nicht den Kunden, seine Bedürfnisse und das Kaufverhalten aus den Augen verlieren. Ausführliche Tests im späten Stadium der Produktentwicklung sind daher dringend notwendig – und neben Haßloch stehen auch zahlreiche andere Testmöglichkeiten zur Verfügung. Egal ob in Form von strategischen Marktanalysen, Produktkliniken oder breit aufgestellten Produkttestumfragen – im Zentrum steht dabei immer eine passende und repräsentative Auswahl der Testpersonen.
Dies hat sich auch in Haßloch als Erfolgsgarant für die dortigen Produkttests erwiesen. Bereits 34 Jahre lang hält das Dauerexperiment hier schon an – und nichts deutet darauf hin, dass sich das bald ändert. Unternehmen wissen dabei nicht nur die umfassenden Möglichkeiten zu schätzen, ab und zu nutzen sie auch ihre ungewöhnlichen Testaktionen in Haßloch als Anlass, um mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen – wie zum Beispiel die Molkerei Ehrmann, die zu ihrem Projekt im Jahr 2019 eine eigene Pressemitteilung verfasste. Franziska Rumpel von derGfK erläutert: „Ehrmann stellte sich im Rahmen ihrer High-Protein-Produkte die Frage nach der idealen Platzierung: Sollen die Produkte einzeln den jeweiligen Kategorien zugeordnet werden oder ist eine Protein-Block-Platzierung besser. Mit Hilfe des ShopperLABs in Haßloch wurden diese zwei Platzierungsoptionen in fünf Märkten im Sommer 2019 getestet. Als Ergebnis zeigte sich, dass die Platzierung im Proteinblock in nahezu allen Einkaufsstätten sowohl für die Kategorie als auch die Marke selbst die höchsten Abverkäufe beobachten ließ.”
Auch die Supermarktkette Aldi konnte sich kürzlich über positive mediale Präsenz durch ein ganz besonderes Testprojekt im deutschen Musterdorf freuen. Seit dem 11. Juli 2020 können sich Kunden hier am sogenannten „Aldimat“ selbst bedienen und einkaufen. Der neuartige Automat ist 24 Stunden zugänglich und bietet rund 25 bis 30 Produkte, darunter Käse, Wurst, Brotaufstriche, Bratwürste, Ketchup oder Senf. Wie bei Snack- oder Getränkeautomaten, wie man sie an Bahnhöfen und Bushaltestellen kennt, bezahlen die Kunden mit EC- oder Kreditkarte am Lesegerät und geben danach die Nummer ihres gewünschten Produkts ein. Ob und in welcher Form die neue Innovation zukünftig auch im Rest Deutschlands ausgerollt wird, entscheiden letztlich und indirekt – wie bei so vielen anderen Produkten auch – die Einwohner des unscheinbaren, aber einflussreichen Haßloch.