#StopHateforProfit – Der Boykott von Facebook

Vor inzwischen fast vier Monaten starteten hunderte Firmen unter der Führung der Anti-Defamation League die öffentlichkeitswirksame Kampagne „Stop Hate For Profit“. Was hat den Werbe-Boykott von Facebook und Instagram damals motiviert? Welche Reaktionen und Veränderungen von seiten Mark Zuckerberg hat er seitdem hervorgerufen? Und wie sollten sich Marketing-Entscheider nun zu dem Thema verhalten? Antworten hat Felix Willikonsky, Social-Media-Experte und Head of Digital Communication bei der PR-Agentur PIABO.

Das Aufsehen war groß, als im Sommer diesen Jahres immer mehr Unternehmen weltweit ihre Werbemaßnahmen auf Facebook aussetzten. Neben großen multinationalen Konzernen wie Adidas, Bayer, Henkel, Ben & Jerry’s, Coca-Cola und Patagonia beteiligten sich inzwischen auch Prominente wie Katy Perry und Kim Kardashian am Protest gegen das Facebook-Imperium. Den Initiatoren ging und geht es um das angeblich zu lasche Vorgehen der Plattform gegen das Thema Hate Speech. In der Kommentarsektion des Social-Media-Netzwerks wird gepöbelt, beleidigt, verleumdet und gehasst –zumeist ungeniert und unter Nutzung von Klarnamen. 

Hate Speech – ein generelles Problem von Sozialen Medien

Alle großen Social-Media-Netzwerke – das gilt für Twitter, aber auch für den Messenger WhatsApp und die Videoplattform YouTube – sahen sich in der Zeit nach dem Arabischen Frühling regelmäßig schwerer Kritik ausgesetzt. Die vermeintliche Liberalisierung des Internets durch die Kraft der Massen wich im Anschluss schnell der dystopischen Macht des Backends. Aus dieser Gefühlslage entstand Dave Eggers „The Circle“, es folgten Skandale um die NSA und Cambridge Analytica sowie Debatten über die Rolle der Facebook-Akquisition WhatsApp bei Selbstjustiz-Fällen in Südamerika oder Facebooks Beschleuniger-Funktion beim Genozid von Muslimen in Myanmar. 

Wer Fußballübertragungen, den US-Wahlkampf oder die Kommentarspalten der großen deutschen Zeitungen auf den sozialen Netzwerken regelmäßig verfolgt, stellt schnell fest: Das Problem wurde in den letzten Monaten nicht behoben und grassiert weiterhin. In diesem Zuge gewannen auch Protestaktivierungen wie die ähnlich gelagerte Aktion #NoDenyingIt großen Zulauf, die Netflix-Doku „The Social Dilemma“ entwickelte sich zum Must-See für die Generation Y und Politiker, aber auch ehemalige Facebook-Mitarbeiter, griffen das Unternehmen öffentlich an. 

Was hat der Werbe-Boykott bisher gebracht?

Zwar schien der zu erwartende Umsatzverlust für das Unternehmen von Anfang an im Verhältnis sehr klein (die ca. 1200 bis 1500 teilnehmenden Unternehmen machen nur einen kleinen Teil der gesamten Werbeeinnahmen von Facebook aus), allerdings ist der Imageschaden für die Plattform enorm und die Langzeitfolgen für das börsennotierte US-Unternehmen unkalkulierbar. Genau deswegen ist das Thema inzwischen auch Chefsache für Mark Zuckerberg persönlich, der an allen Fronten zu beschwichtigen versucht. Facebook legte sich seitdem mit Donald Trump, den Bewegungen QAnon und der Antifa an, ließ Konten löschen und setzte das Leugnen des Holocausts auf die Ban-Liste. Laut dem Facebook Transparency Report wurden im ersten Quartal alleine über 9,6 Millionen Posts gelöscht, im zweiten Quartal waren es bereits 22,5 Millionen. Zudem setzt die Firma auf Automatisierung und investiert weiterhin stark in den technologischen Fortschritt zur Erkennung von Hate Speech. 

Begrenzte Möglichkeiten im Kampf gegen Hate Speech

Klar ist allerdings schon jetzt, dass die Maßnahmen das Kernproblem kurzfristig nicht lösen und die Frage lauter wird, ob Facebook überhaupt die Probleme beheben kann, die es selber verursacht hat. Völlig unabhängig davon, ob das automatisierte Scanning aller Postings auf Hate Speech nicht noch weitere negative Folgen mit sich bringt. Führende Computer-Linguisten bezweifeln, dass zum Beispiel Ironie oder Sarkasmus sprachübergreifend erkannt werden kann. Folgt nun also auch die Einschränkung unserer Sprach- und Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken durch den Einsatz einer humorlosen und ironiebefreiten Artificial Intelligence? Und wenn ja, was wiegt schlimmer?

Facebook beteiligt sich, zumindest öffentlich, nicht an diesen Debatten. Schließlich hatten die Organisatoren von „Stop Hate for Profit“ eine Liste an zehn Punkten erarbeitet, deren Umsetzung man von Facebook erwartete. Diese liest sich jedoch eher wie ein Appell, man möge doch einfach weniger schlechte Dinge in die Welt setzen. Es wurde telefoniert und man zeigte sich auf beiden Seiten enttäuscht. Einige größere Firmen beendeten ihren Protest trotzdem innerhalb der ersten acht Wochen wieder. Die Firma Beiersdorf ließ sogar verlauten, Facebook habe “einen Plan vorgelegt, der auf unsere Bedenken eingeht und die Fortschritte des Unternehmens bei der Bereitstellung sicherer Onlineplattformen für Nutzer und Werbetreibende wie Beiersdorf stärkt“ – ein Zeichen dafür, dass manche Werbetreibende wohl Facebook doch letztlich mehr brauchen, als es umgekehrt der Fall ist. Für einige Beobachter entstand ebenfalls der Eindruck, dass einige Unternehmen die Kampagne als günstige Gelegenheit genutzt haben, um Budgeteinkürzungen in Zeiten von Corona mit einem Purpose und guter PR zu verbinden. 

Marken sollten eine konsistente Haltung einnehmen

Nichtsdestotrotz hat die Kampagne ein wichtiges Thema in die Öffentlichkeit gebracht, hinter dem viele Marken auch weiterhin mit entschlossener Haltung stehen. Was bleibt ist also die Frage, wie sich Unternehmen und Marketing-Entscheider zukünftig zu dem Thema verhalten können. In der medialen Berichterstattung wird immer wieder betont, dass der Werbeverlust für Facebook marginal eingestuft werden muss und Zuckerberg fast schon aufreizend lakonisch die Kampagne zur Kenntnis nimmt. Allerdings wurde die Botschaft der Kampagne lautstark und von vielen Facebook-Nutzern vernommen. Die Langzeitfolgen für Facebook sind daher noch nicht abzusehen: sinkt das tägliche Nutzerengagement durch das beschädigte Image und die aufkommende Konkurrenz von TikTok & Co, kann der Social-Media-Gigant bald ernste Probleme bekommen.  ‍

Insofern stehen auch Marken weiter in der Verantwortung, klar Stellung zu beziehen und somit mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein in der eigenen Community für das Thema zu schaffen. Dabei sollte auch ein kritischer Blick auf nur halbherzige und nicht konsequent durchgeführte Maßnahmen geworfen werden. Kein Werbe-Budget mehr auf Facebook auszugeben, ist nämlich die eine Sache – eine andere ist es aber, trotzdem weiterhin ein Unternehmensprofil zu unterhalten und mit organischen Posts die Reichweite und Position des Facebook-Imperiums weiter zu stärken. Marketing-Entscheider sollten sich daher den komplexen Mechanismen des “Sozialen Dilemmas” bewusst sein und verstehen, welche Rolle das Unternehmen und seine Kommunikationsaktivitäten hierbei genau spielen. Auf diese Weise können sie eine klare Haltung entwickeln und den positiven Einfluss der Markenutzen, um einen konsequenten Beitrag für eine bessere Zukunft unserer Gesellschaft zu leisten.

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Felix Willikonsky ist Head of Digital Communications und Unit Director bei PIABO, Deutschlands führendem PR-Partner der Digitalwirtschaft mit Sitz in Berlin. Als langjähriger Kommunikationsberater und Social-Media-Experte betreut er Kunden in den Bereichen Storytelling, Paid Social, Employer & Personal Branding, Influencer & Content Marketing, SEO und …

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