Wie oft kommt es vor, dass wir Ware direkt bei den Hersteller:innen kaufen? Immer häufiger, wie sich herausstellt. Allein in Deutschland ist der Direct-to-Customer-Markt von circa 730 Millionen Euro in 2020 auf 880 Millionen Euro in 2021 gewachsen. Ein großer Reiz für Unternehmen besteht darin, dass zwischen ihnen und ihrer Kundschaft keine weiteren Stationen dazwischengeschaltet sind. Vertriebshandel, Großhandel, Einzelhandel oder Online-Marktplatz werden vollständig ausgeklammert, die Kundenseite erhält die Ware direkt. Wir analysieren die Vor- und Nachteile dieses Verkaufsmodells und erklären, wie Unternehmen eine erfolgreiche D2C-Strategie implementieren können.
Vorteile von D2C für Unternehmen
Die Unabhängigkeit von Marktplätzen, Groß- und Einzelhandel bringt für Marken zahlreiche Vorteile mit sich. Sie sind nicht auf Mittelspersonen angewiesen und haben mehr Kontrolle über die Produktlinien und deren Vermarktung. Hierzu zählen:
Flexibleres Angebot
Hersteller:innen können auf ihrer eigenen Website ihr vollständiges Sortiment veröffentlichen und sind bei der Darstellung des Angebots sowie den dazu passenden Empfehlungen nicht eingeschränkt. Marken sind somit in der Lage, wichtige Informationen und Neuigkeiten schneller hinzuzufügen sowie Änderungen flexibler zu aktualisieren. Ebenso lassen sich Produktlinien den Bedürfnissen der Zielgruppe einfacher anpassen.
Volle Kontrolle über die eigene Marke
Der D2C-Vertrieb ermöglicht die volle Kontrolle über die eigene Marke und das damit verbundene Markenimage. Hersteller:innen können auf der eigenen Webseite die wesentlichen Merkmale ihres Angebots nach eigenen Wünschen herausstellen und alle dafür nötigen Details veröffentlichen. Dazu gehören z.B. attraktive Designs und hochwertiger Content in Form von Texten, Fotos, Videos und Podcasts. Unternehmen prägen somit selbst den Eindruck, den sie ihrer Zielgruppe von sich vermitteln möchten. Sie müssen sich keinem Format oder Vorgaben anpassen, die vom Einzelhandel oder einem Online-Marktplatz festgelegt werden und im schlechtesten Fall zu ungenauen Informationen oder qualitativ minderwertigen Inhalten führen.
Direkter Kundenkontakt
Über den D2C-Vertrieb erfahren Unternehmen mehr über ihre Kund:innen. Die eigenen Teams sind für die Verwaltung von Bestellungen, Anfragen und Bewertungen verantwortlich. Sie können somit schnell auf alle Kundenkontakte, -anfragen, -feedback bzw. -beschwerden reagieren. Auf Dritte müssen sie sich dabei nicht verlassen. Im Gegenzug erhalten sie Verbraucherdaten aus erster Hand, was wiederum die Akquise und die Entwicklung einer zielgerichteten Marketingstrategie erleichtert.
Mehr Einfluss auf die Customer Journey
D2C-Unternehmen sind selbst für die Customer-Journey zuständig. Das bedeutet, dass sie Absprungpunkte und Kaufabbrüche genauer ermitteln und analysieren können. Darauf basierend lassen sich Vertriebs-, Marketing- und Kundenservice-Anstrengungen entsprechend optimieren. Sowohl bei der Kundengewinnung als auch bei der Bindung sind Unternehmen vollkommen unabhängig, wenn es um die Gestaltung, Bestimmung und Ausführung ihres Geschäftsmodells geht.
Höhere Gewinnmargen
Während Zwischenhändler:innen einen Anteil am Gewinn einbehalten, kann ein D2C Unternehmen mit einer deutlich höheren Marge rechnen. Das gilt sogar, wenn die Produkte zu einem günstigeren Preis angeboten werden. Kosten für den Vertrieb, für Logistik- und Marketingaufwendungen sollten aber mit einkalkuliert und von der Gewinnspanne abgezogen werden.
Herausforderungen eine D2C-Strategie
Die Vorteile hören sich verlockend an. D2C bringt aber auch zahlreiche Herausforderungen mit sich. Unternehmen sollten die große Verantwortung nicht unterschätzen, denn mit der Aufgabe einer Zwischenhändler-Strategie gehen potenzielle Mehrkosten und Geschäftsrisiken einher.
Positionierung der Marke
Die Hersteller:innen müssen von der Kundschaft natürlich erst einmal gefunden werden und konkurrieren in dieser Situation mit den großen Einzelhandelsketten und Marktplätzen. Hierfür sind effektive Marketingstrategien, SEO und generell eine aufmerksamkeitsstarke und Online-Präsenz notwendig.
Mögliche Konflikte mit Vertriebspartnern
Bereits etablierte Partnerschaften können bei einem Wechsel zu einer D2C-Strategie mitunter leiden. Ein solcher Schritt wird womöglich sogar als aggressiver Versuch verstanden, Gewinne einzubehalten. Plant ein Unternehmen eine hybride D2C- und Einzelhandels- bzw. Großhandels-Vertriebsstrategie, kann sich ein solcher Konflikt zumindest kurzfristig negativ auf das Geschäft auswirken. Das geschieht z.B., wenn die Partner:innen den Vertrieb der Produkte als Gegenmaßnahme ganz einstellen. An dieser Stelle ist Behutsamkeit gefragt. Schon vor dem Eintritt in den D2C-Markt sollte eine offene Kommunikation und Neuverhandlung erfolgen, um für beide Seite eine bestmögliche Lösung zu finden.
Aufbau einer Fulfillment- bzw. Logistik-Infrastruktur
Zu Beginn einer Firmengründung mag sich ein überschaubares Fulfillment noch managen lassen, solange es sich um kleine Bestellmengen handelt. Wächst das Unternehmen jedoch, kann die Logistik schnell überhandnehmen: Hiermit ist nicht nur der Versand verbunden, sondern auch die Bestandsverwaltung und das Retourenmanagement bis hin zur Herstellung von Versandetiketten. Das nimmt Zeit und Aufwand in Anspruch, die für andere Geschäftsbereiche erforderlich sind.
Interne und externe Logistikprozesse gewährleisten die nötige Versorgungssicherheit. Hierfür sind Monitoring-Tools notwendig, die beispielsweise einen Überblick über Warenbestände verschaffen. Außerdem müssen Daten über Endkunden immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Möchte ein Unternehmen die Waren lagern, ist Lagerplatz notwendig und für den Versand sowohl im In- als auch im Ausland sind zuverlässige Dienstleister erforderlich. Alternativ lässt sich ein Logistikdienstleister einbinden, der sich ausschließlich auf Lagerung und Lieferung konzentriert, dieser verursacht allerdings zusätzliche Kosten.
Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Implementierung einer D2C-Strategie
Sowohl bei einer Neugründung in einen D2C-Markt hinein, als auch bei einer Umstellung eines traditionellen Vertriebsmodells sind zahlreiche Einzelschritte notwendig. Eine ausgiebige und detaillierte Planung ist dabei unerlässlich.
Produktauswahl bzw. -entwicklung
Eine erfolgreiche D2C-Strategie erfordert zunächst die Auswahl oder Entwicklung eines passenden Produkts. Ein guter Ansatz ist ein Angebot, das konkrete Probleme lösen oder Kund:innen bei spezifischen Herausforderungen unterstützt. Insbesondere auf Märkten mit hohem Wettbewerb oder vielen ähnlichen Produkten, Verpackungen oder Logos sollten sich Unternehmen mit individuell auf Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Produkten oder Dienstleistungen abheben. Eine sehr spezifische Personalisierung kann dabei hilfreich sein. Alternativ kann den Kund:innen auch die Möglichkeit an die Hand gegeben werden, Produkte bis zu einem gewissen Grad selbst nach ihren Vorstellungen zu konfigurieren.
Umstellung etablierter Prozesse
Entscheidend für den Erfolg ist, dass die bisherigen Prozesse und Systeme von einer traditionellen zu einem D2C-Vertriebssystem umgestellt werden. Selbst die Kund:innen bedürfen einer entsprechenden Umschulung, um sich dem neuen Modell anzupassen. Der Einzelhandel kann beispielsweise nicht mehr auf Verbraucherfragen eingehen. Stattdessen muss das Unternehmen die eigenen Angestellten ausbilden, um mögliche Fragen und Probleme direkt zu lösen.
Daten sammeln und analysieren
Kund:innen hinterlassen an jedem Kontaktpunkt auf der Customer Journey Fußspuren in der Form von First-Party-Daten. Diese lohnt es, zu sammeln und auszuwerten. Das fordert ein besseres Verständnis für die Zielgruppe. Das Angebot, der Service und das Marketing lassen sich entsprechend präziser personalisieren. Mit einer einheitlichen CRM-Plattform können sämtliche Daten gesammelt und miteinander verknüpft werden. Das sorgt wiederum für ein reibungsloses Kundenerlebnis über sämtliche Kanäle hinweg.
Die passende Marketingstrategie entwickeln
Einzelhandel und Online-Marktplätze können sich auf bereits etablierte Vertriebs- und Marketingkanäle verlassen. D2C-Unternehmen müssen dagegen selbst die besten Kanäle finden, über die sie ihre Kund:innen erreichen können. Eine eigene suchmaschinenoptimierte und userfreundliche Website spielt dabei eine zentrale Rolle.
Darüber hinaus lassen sich eine Reihe weiterer Online- und Offline-Kanäle nutzen. Wichtig ist, dass sie für das jeweilige Produkt und für die anvisierte Zielgruppe Sinn ergeben.
Eine D2C-Website allein wird nicht reichen, um die Marke und das Angebot aufmerksamkeitsstark zu etablieren. Hierfür ist eine Performance-Marketing-Strategie notwendig, die bewährte Content-Maßnahmen beinhaltet. Hierzu gehören SEO und E-Mail-Marketing, Blogs, Videos und Whitepaper, die über aktuelle Produkte und Branchenthemen informieren oder Kund:innen bei der Nutzung des Produkts helfen.
D2C Brands, die sich rein über ihre Produkte definieren, sind nicht erfolgreich. Für langfristige Erfolge müssen sie zu sogenannten “Love Brands” werden. Diese bauen in der Regel für bessere, tiefere und sinnvollere Beziehungen zu ihrer Kundschaft auf. Ein qualitativ hochwertiges Produkt, eine emotional-ansprechende Markengeschichte sowie Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit sind dabei essenziell. Ein Unternehmen kann zudem authentische Leidenschaft für das Produkt oder die Dienstleistung vermitteln. Ein enthusiastisches Personal, das von vornherein für die jeweilige Branche brennt, wird beispielsweise automatisch zu effektiven Fürsprecher:innen für die Marke. Der Community-Aufbau ist ebenfalls ein wichtiger Faktor bei der Bildung einer Love Brands. Das führt dazu, dass Fans sowohl mit der Marke als auch miteinander interagieren.
Mithilfe von Influencer:innen mit einer eigenen starken Online-Präsenz können Marken mit einer großen oder auch einer kleineren Nischen-Fangemeinde in Kontakt treten. Hierbei ergibt sich die Chance, ein großes Publikum auf schnelle Weise mit einzigartigen und relevanten Inhalten zu erreichen. Das kann beispielsweise in der Form von gesponsertem oder gemeinsam erstellten Content geschehen. Erwähnungen in einem Beitrag, Wettbewerbe, Werbegeschenke, dauerhafte Partnerschaften bzw. Markenbotschafterverträge führen ebenfalls zu positiven Ergebnissen. Influencer-Marketing lässt sich sogar mit TV-Auftritten kombinieren, um die Zielgruppe noch weiter zu diversifizieren.
Sowohl klassische TV-Werbung als auch Adressable TV stellen effektive Wege dar, um das passende Publikum für die eigene Marke zu erreichen. Ersteres bietet eine breite Streuung, die letztere Option ermöglicht eine gezieltere Botschaft an ein spezifisches markenrelevantes Publikum.
Kundenservice aufbauen
Ein direkter Kundenvertrieb bedeutet auch einen direkten Kundenkontakt. Das Service-Team benötigt entsprechende Schulungen, Tools und Informationen, um Probleme schnell lösen zu können. Ein moderner Kundenservice sollte jedoch darüber hinausgehen und ein positives Kundenerlebnis garantieren, indem möglichst jede Interaktion personalisiert wird. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse kann sich wiederum das Marketingteam zunutze machen. Kundenanliegen lassen sich beispielsweise proaktiv lösen, indem entsprechende hilfreiche und informative Inhalte schon im Vorhinein generiert werden.
Kundenerlebnis analysieren, bewerten und optimieren
Alle Punkte der Customer-Journey sollten stetig oder regelmäßig überwacht und analysiert werden. Auf diese Weise kann ein Unternehmen ermitteln, an welchem Punkt Verbraucher:innen abspringen bzw. warum sie keine Transaktion tätigen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass eine D2C-Marke den Kundenbedürfnissen gerecht wird oder diese sogar übertrifft.
Fazit:
Personalisierung, After-Sales-Erfahrungen, der Aufbau von Communities um ein Angebot herum und die Nutzung von Virtual- und Augmented Reality werden in Zukunft einen viel größeren Stellenwert einnehmen. Kundenbindung ist vor allem in wirtschaftlich unsicheren Zeiten unerlässlich. Treueprogramme und Rabatte für Bestandskunden können für D2C-Unternehmen echte Vorteile bieten, zumal sie eine flexiblere Preisgestaltung ermöglichen. Insbesondere der direkte Kundenkontakt und die exaktere Datensammlung werden sich dafür als ein großer Vorteil für D2C-Unternehmen erweisen.
KI wird auch im D2C-Bereich eine größere Rolle spielen. Entsprechende hochentwickelte Chatbots können beispielsweise den Kundenservice entlasten und erste Kundenanfragen beantworten oder Probleme lösen. Sie können aber ebenfalls im Marketing für D2C aushelfen und z.B. einfache Texte verfassen oder als Ideengeber für Content-Strategien fungieren. Darüber hinaus lassen sich basierend auf der Kaufhistorie und dem individuellen Kundenprofil gezieltere Kaufempfehlungen aussprechen.
Nicht jede Marke kann aber von heute auf morgen auf ein D2C-System umsteigen. Unternehmen, die mit dem Gedanken einer entsprechenden Veränderung spielen, sollten sich folgende Fragen stellen:
- Sind Wünsche, Bedürfnisse, Vorzüge und das Kaufverhalten der Zielgruppe bekannt oder müssen noch Marktforschung, Umfragen und Analysen betrieben werden?
- Ist ein hochwertiger Kundenservice vorhanden, der schnell und informativ auf Anfragen reagiert?
- Ist eine solide und attraktive Online-Präsenz vorhanden, die sich leicht und benutzerfreundlich bedienen lässt?
- Besteht eine effiziente logistische Infrastruktur, mit der sich Bestellungen zuverlässig erfüllen lassen?
- Lässt sich die Produktion und Logistik ggf. schnell nach oben skalieren, wenn plötzlich mehr Kund:innen und Bestellungen hinzukommen.
- Sind die Preise wettbewerbsfähig?
- Sind die technischen Voraussetzungen vorhanden, um Kundendaten zu sammeln und zu analysieren und deren Verhalten und Trends nachvollziehen zu können?
Diese Grundvoraussetzungen sollten erfüllt sein oder zumindest eine detaillierte Planung für die Umsetzung vorliegen, bevor der nächste Schritt erfolgt.