Corona-Impfkampagne: Kann Nudge-Marketing helfen?

Nachdem endlich die ersten Corona-Impfungen in Deutschland und vielen anderen Ländern angelaufen sind, zeichnet sich eine neue Herausforderung im Kampf gegen den Virus ab – die Impfmüdigkeit. Um dem entgegenzuwirken, haben Regierungen weltweit millionenschwere Marketingkampagnen gestartet, von denen sich viele die Grundprinzipien der Nudge-Theorie zunutze machen. Wir schauen uns das Phänomen genauer an und erklären, welche Learnings Vermarkter daraus ziehen können. 

Wo liegt das Problem? 

Umfragen zeigen, dass viele Menschen immer noch unsicher sind, ob sie sich gegen Corona impfen lassen sollten. Das ist zunächst nicht überraschend, da viele Menschen Impfungen im Allgemeinen skeptisch gegenüberstehen – und das aus den unterschiedlichsten Gründen. Das Problem ist jedoch, dass etwa 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung gegen COVID-19 geimpft werden müssen, damit die Herdenimmunität erreicht und das Leben wieder ohne Lockdown und Schutzmaßnahmen weitergehen kann.

Corona-Impfkampagne: Kann Nudge-Marketing helfen?
Quelle: YouGov

Viele Länder sehen sich nun vor der großen Marketingaufgabe, die Vorbehalte von weiten Teilen ihrer Bevölkerung zu überwinden und sie von der Corona-Impfung zu überzeugen. 

Was macht also eine erfolgreiche Impfstoff-Marketing-Kampagne aus? Experten beobachten, dass viele Länder hierbei die sogenannte Nudge-Theorie anwenden. Diese bietet Empfehlungen für subtile Anpassungen oder „Nudges“, mit denen die Wahl von Verbrauchern oder Patienten in bestimmte Richtungen gelenkt werden kann. Seit 2009, als Richard Thaler und Cass Sunstein die Idee in ihrem Buch „Nudge – Improving decisions about health, wealth and happiness“ populär gemacht haben, wird Nudge in großem Umfang sowohl im Verbraucher- als auch im Gesundheitsmarketing eingesetzt.  

Viele denken sich an dieser Stelle: Reichen nicht die klaren Fakten der Infektionszahlen oder der Todesopfer von COVID-19 gepaart mit überzeugender Werbung für die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs aus? “Nein”, sagen die Nudge-Theoretiker, denn von rationalen Schlüssen allein lässt sich der Mensch letztlich nicht überzeugen. Dementsprechend berücksichtigen erfolgreiche Marketingkampagnen auch sämtliche andere Faktoren, welche die Entscheidungsfindung beeinflussen.

Social Impact  

Die Nudge-Theorie besagt, dass wir eher bereit sind etwas zu tun, wenn uns angesehene Meinungsführer ebenfalls dazu raten. Als Elvis 1956 dabei fotografiert wurde, wie er sich gegen Kinderlähmung impfen ließ, stieg die Impfrate unter amerikanischen Jugendlichen von lediglich 0,6 Prozent im Jahr 1955 auf 80 Prozent im Jahr 1956. In der Verbraucherwelt lässt sich dieser Effekt aktuell am großen Wachstum von Influencer Marketing und prominenten Markenbotschaftern erkennen.

Corona-Impfkampagne: Kann Nudge-Marketing helfen?
Quelle: BBC

Influencer waren bisher auch der Grundstein für die Corona-Impfkampagnen vieler Länder – und zwar nicht nur Politiker und Gesundheitsberater, wie man erwarten könnte. In Großbritannien haben die Queen, der Musiker Elton John und der Schauspieler Michael Caine mit als erste prominente Fürsprecher dazu aufgefordert, sich impfen zu lassen. In den USA ließ sich die Krankenschwester Sandra Lindsey als erste Bürgerin impfen – und avancierte zur unfreiwilligen Influencerin: Ein Bild von ihrer Impfung ging in den sozialen Medien viral und rief zahlreiche positive Reaktionen hervor (was sich mit einer kürzlichen Umfrage von Ipsos Mori deckt, nach der Krankenschwestern, Ärzte und Wissenschaftler das größte Vertrauen in die Botschaft der Impfung verbreiten).

Einige lokale Regionen experimentieren mit ihren eigenen Influencern – so hat  Neuss im Rheinland lokale Prominente wie Fernsehmoderatoren, Karnevalspräsidenten, Sänger und lokale Geschäftsleute gebeten, für den Impfstoff zu werben. Nachdem in Großbritannien Bedenken geäußert wurden, dass schwarze, ethnische Minderheiten dem Impfstoff besonders ablehnend gegenüberstehen, beschlossen prominente Personen aus der Community, zusammen einen TV-Spot zu drehen, der speziell diese Gruppe anspricht.

Social Proof  

Die Nudge-Theorie unterstreicht die Bedeutung des sogenannten “Social Proof”, wonach Menschen sich in ihrem Verhalten vor allem an Gleichaltrigen/Gleichgestellten, sogenannten “Peers”, orientieren. Übertragen auf die Welt des Verbrauchermarketings nutzen Buchverkäufer daher häufig die Etiketten „Bestseller“ oder „Saisonfavorit“, um die Beliebtheit und die gute Bewertung innerhalb der Peer-Gruppe zu unterstreichen. Wenn Kunden sich online ein Urlaubsangebot ansehen, suggeriert die Meldung „12 andere Leute sehen sich dieses Angebot auch gerade an“, dass unser Interesse berechtigt ist und wir die richtige Wahl treffen, weil andere sie auch in Betracht ziehen.

Corona-Impfkampagne: Kann Nudge-Marketing helfen?
Quelle: Horizont

Die Kampagne „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“ macht sich diesen Faktor zunutze, indem sie zeigt, dass alle Menschen aus der gesamten Gesellschaft den Impfstoff dankbar annehmen. Durch die Darstellung von Menschen aller Alters-, sozialer Gruppen und Ethnien in sämtlichen Kampagnenmaterialien sowie die Verwendung des Slogans „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“ ist die Botschaft klar: Das ganze Land macht mit, also muss jeder Einzelne von uns die Ärmel hochkrempeln und seinen Beitrag leisten.   

Als ebenfalls beliebt erweisen sich Hilfsmittel, mit denen Menschen ihre eigene Impfung nachweisen und mit anderen teilen können. Aufbauend auf dem Erfolg der „I voted“-Sticker, die die Wahlbeteiligung bei US-Wahlen erhöhen sollen, bauen viele US-Gesundheitsbehörden ähnliche Tools in ihre Kampagnen ein: zum Beispiel Overlays für Selfies auf den sozialen Medien oder „Ich habe mich impfen lassen“-Sticker.

Vergünstigungen anbieten

Corona-Impfkampagne: Kann Nudge-Marketing helfen?
Quelle: BBC

Die Nudge-Theorie besagt, dass Menschen von Natur aus kurzfristige Belohnungen positiv wahrnehmen, aber gegenüber langfristigen oder scheinbar geringen Belohnungen voreingenommen sind. Dies entspricht dem WIIFM-Faktor („What’s In It For Me?„). Kurzfristige Belohnungen und Vergünstigungen werden im Konsumgüterbereich regelmäßig eingesetzt, um den Umsatz zu steigern – zum Beispiel Angebote mit “Drei zum Preis von Zwei” oder Rabatte auf Produkte und Werbegeschenke, um Anreize für Newsletter-Abonnements zu schaffen.  

Bei der Corona-Impfung liegt der Gedanke nahe, dass die Belohnung bereits im Impfstoff selbst und dem damit verbundenen Schutz vor der Krankheit enthalten ist. In einem aktuellen Artikel für die New York Timesschätzt Richard Thaler dies jedoch als nicht ausreichend ein und schlägt weitere Anreize wie zum Beispiel einen “Corona-Pass” vor. Davon würden nicht nur die Wirtschaft und das Gesundheitswesen profitieren, sondern auch der Inhaber des Passes, da er durch ihn Zugang zu Geschäften, Auslandsreisen und Freizeitevents erhalten würde.  

Viele Länder ziehen den Corona-Pass immer ernster in Betracht und auch in den Medien stößt die Idee auf breite Zustimmung. Dänemark hat sich bereits zur Einführung eines solchen Passes verpflichtet und Großbritannien befindet sich in Gesprächen mit anderen Ländern, um Passinhabern das Reisen über den Sommer zu ermöglichen. In den USA hat Präsident Biden eine Machbarkeitsstudie zu diesem Vorschlag angeordnet.   

Auch eine Bezahlung für die Impfung wurde bereits ins Gespräch gebracht, aber von vielen Experten abgelehnt. Einige haben darauf hingewiesen, dass – vorausgesetzt, die Höhe der Zahlung ist nicht exorbitant – nur ein weniger wohlhabender Teil der Bevölkerung sie als Belohnung ansehen würde. Außerdem befürchten viele, dass eine solche Vergünstigung auch nach hinten losgehen kann und viele Skeptiker das Geld – ähnlich wie bei einer medizinischen Studie – als Beweis für einen gesundheitlichen Risikofaktor sehen werden.   

Fazit 

Vermarkter sollten die Augen offenhalten: Das Corona-Impfprogramm wird eines der größten und teuersten Marketing-Events in diesem Jahr und viele Länder haben mit innovativen Kampagnen, die auf den Prinzipien der Nudge-Theorie – Social Impact, Social Proof und Angebot von Vergünstigungen – basieren, einen guten Start hingelegt. Im Laufe des Jahres werden sicherlich weitere Nudges ans Licht kommen, die sich dann vermehrt auf die Überzeugung zur Zweit-Impfung fokussieren.   

Werden wir so letztlich die Herdenimmunität erreichen? Wir können es nur hoffen.

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Hier schreibt die Redaktion des Restless CMO. Wir sind ein Team aus leidenschaftlichen Medien-Expert:innen und haben uns zur Aufgabe gemacht, Marketingentscheider:innen, CMOs, Founder:innen und alle Marketing-Macher bestmöglich über die neuesten Entwicklungen, Trends, Storys aus der Marketing-Branche zu informieren. Dabei ist es uns sehr wichtig einen …

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