„Buy-and-Build“ als neuer Standard?

Digitales Marketing hat in den letzten zehn Jahren mehr als einmal dazu beigetragen, Marken zur Marktführerschaft zu verhelfen und wird die Start-up-Szene weiter prägen. Dabei zeigt sich jedoch, dass die Wirkkraft digitaler Marketingkanäle immer mehr abnimmt. Hier setzt der sogenannte „Buy-and-Build“-Ansatz an. Er verspricht Unternehmen Zugang zu völlig neuen Kundensegmenten samt entsprechendem Wachstum und macht heute schon mehr als 50 Prozent aller Private-Equity-Transaktionen weltweit aus. Ein Überblick.

Digitales Marketing nimmt ab

Nichts kann ewig Bestand haben, das gilt besonders in einer sich so schnell entwickelnden Branche wie dem Marketing. Neue Disziplinen werden häufig genauso schnell aus dem Boden gestampft wie sie dann wieder an Relevanz und Wirkkraft verlieren. Nehmen wir uns E-Mail-Kampagnen als Beispiel: Im Jahr 2003 hatten E-Mails eine Öffnungsrate von satten 88 Prozent und eine Klickrate von mehr als zwei Dritteln. Und heute? Geöffnet werden E-Mails gerade einmal von einem guten Viertel der Empfänger, geklickt wird kaum noch (3 Prozent). Für Marketer ist das längst zu ineffektiv und teuer geworden. 

Gleichzeitig wurden die Online-Bannerflächen in den letzten Jahren stark zusammengeschrumpft, unter anderem weil der Einsatz von Adblockern quasi zum Standard geworden ist. Das Surf-Verhalten der Internetnutzer hat sich weg bewegt vom bloßen Browsen und Entdecken hin zur Direktsuche und Interaktion, was zusätzlich dazu führt, dass die Möglichkeiten für Unternehmen, ihre Zielgruppen zu erreichen, weiter abnehmen.  Der Einsatz von Bots nimmt zudem immer kriminellere Züge an – rund 12,5 Milliarden Dollar (das heißt 22 Prozent der Gesamtausgaben für digitale Werbung) gingen 2015 weltweit durch Anzeigenbetrug verloren. Zusätzlich gibt die steigende Nachfrage Anbietern die Möglichkeit, Preise stetig zu erhöhen. Und tatsächlich gaben US-Werbetreibende 2017 42 Prozent mehr für das Schalten von Suchmaschinen-Werbung aus, während die Zahl der Webseiten-Visits nur um 11 Prozent anstieg.

Zunehmend deutlich wird, dass Unternehmen immer weniger von Größenvorteilen profitieren. Galt früher, dass die CPAs (Cost per Acquisition) mit steigenden Ausgaben für das Online-Marketing und einer wachsenden Nutzerzahl abnahmen, sieht das heute anders aus.

Buy-and-Build

Genau hier setzt der Buy-and-Build-Ansatz als Strategie in der Kundenakquise an. Dabei bezieht sich Buy-and-Build auf den Kaufprozess eines Plattformunternehmens mit einem gut ausgebildeten Management-Team und einer gut entwickelten Infrastruktur, das über horizontale und vertikale M&A-Aktivitäten skaliert wird. 

Dabei lässt sich das Konzept durchaus gut auf die Start-up-Welt übertragen. In einer Vielzahl von traditionell offline orientierten Branchen, die von neuen digitalen Herausforderern mit deutlich höheren relativen Marktbewertungen zu Ihrem Umsatz aufgemischt werden, bietet sich die Multiple Arbitrage zunehmend an.  

Buy-and-Build kann auch dabei helfen, die Kosten für die Kundengewinnung zu senken. Ein Beispiel: Ein InsureTech-Start-up, das kürzlich mit einem großen Volumen an Risikokapitalfinanzierung ausgestattet wurde, möchte sein Kundenwachstum vorantreiben. Anstatt Geld für weitgehend unprofitable digitale Marketinginitiativen auszugeben, könnte es profitable, aber eher stagnierende Wettbewerber aus der klassischen Versicherungswirtschaft (oft regional und stark fragmentiert) aufkaufen und ihre Kundenbasis in die eigene technische Infrastruktur integrieren. Die Rechnung dazu würde dann zum Beispiel rein illustrativ wie folgt lauten: Anstatt 500 Euro pro Kunde für die Akquise von neuen Nutzern auszugeben, könnte das Start-up ein komplettes Unternehmen für 1.000.000 Euro akquirieren, das höchstwahrscheinlich einen Stamm von weit über 2000 Kunden hat. Die CPAs wären damit deutlich geringer. 

Als ideal für den Buy-and-Build-Ansatz gelten Branchen, die eine eher fragmentierte Struktur mit geringer Konzentration sowie im Durschnitt eher kleineren Firmen mit Problemen bei langfristigen Unternehmensfortführung aufweisen, während der Markt gleichzeitig großes Skalierungspotenzial aufweist.   

Ein weiterer Vorteil des Kundenwachstums durch Buy-and-Build ist die Verfügbarkeit zusätzlicher Finanzierungsformen für derartige Transaktionen – und das daraus resultierende Wachstum. Während Start-ups aufgrund der fehlenden anfänglichen Profitabilität ihres Geschäfts bislang stark auf regelmäßige VC-Finanzierungen angewiesen waren, können Buy-and-Build-Akquisitionen mit Fremdkapital durch Kredite finanziert werden. Weil die meisten Übernahmekandidaten profitabel gewirtschaftet haben, sind Banken hier häufig bereit, eine Akquisition mit dem Unternehmen als Sicherheit zu finanzieren. Das kann besonders für Mid- bis Later-Stage-Unternehmen durchaus attraktiv sein, wenn diese die Anteilseigner-Struktur des eigenen Unternehmens langfristig nicht allzu sehr verwässern wollen.  

Weil das digitale Marketing in den letzten Jahren immer weniger lukrativ geworden ist und gewisse B2C-Märkte mittlerweile gesättigt sind und vor Konsolidierungsprozessen stehen, werden wir in den nächsten Jahren wohl eine Zunahme an Unternehmen sehen, die auf das Buy-and-Build-Modell setzen. Eventuell könnte sie sogar das digitale Marketing nach und nach verdrängen. Für Start-ups, Venture-Capital-Gesellschaften und andere Beteiligte wird es immer wichtiger, das erforderliche Know-how in ihren Management- und Investment-Teams zu entwickeln, damit sie im Wettbewerb letztlich nicht an Boden verlieren.

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Philip Fischer war als Senior Investmentmanager im Bereich Equity bei SevenVentures tätig. Branchenexpertise im Corporate Finance Bereich erlangte er in der M&A Abteilung einer top-tier US-Investmentbank in London und Afrika. Seine weitere praktische Erfahrung umfasst eine Rolle als Partner bei einem FinTech-Start-up und in der …

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