New York Times-Chef Mark Thompson sorgte kürzlich für Furore, als er am Rande der Cannes Lions mit Blick auf die Welt digitaler Werbung von einem „albtraumhaften Witz“ und einem „gefährlich Umfeld“ sprach, in dem Werbetreibende kaum noch Einfluss darauf hätten, wo und in welchem Kontext ihre Werbung ausgespielt würde. Was steckt hinter diesen harschen Aussagen? Unberechtigte Kritik aus den Reihen traditioneller Medien oder hat Thompson vielleicht doch Recht? Wir haben uns die Thematik genauer angesehen und klären auf, wie Marketer ihre Marke am besten schützen können.
Der Aufstand der Werber
Klar ist: Mark Thompson ist nicht die erste kritische Stimme zu dem Thema – bislang hatte sich nur niemand so drastisch geäußert wie er. Bereits im März strich die französische Advertising Group Havas, zu deren Kunden unter anderem O2 und EDF zählen, als erstes größeres Marketingunternehmen ihre gesamten Google-Werbeausgaben. Die Begründung: Der Tech-Riese sei schlicht „unfähig, entsprechende Sicherheiten, Strategien oder Garantien darüber bereitzustellen, dass Video- oder Display-Inhalte entsprechend schnell und sauber eingeordnet oder gefiltert werden“. Zeitgleich berichteten immer mehr Medien über Fälle, in denen Werbung neben extremistischen oder pornografischen Inhalten auf Google und Facebook auftauchten. Mehr als 250 Werbeunternehmen boykottierten daraufhin die Angebote der beiden großen Player.
Seitdem bemühen sich die Tech-Giganten redlich, das verloren gegangene Vertrauen wieder herzustellen. So ließ Facebook wissen, man habe gleich 3000 neue Mitarbeiter eingestellt, deren vornehmliche Aufgabe die Sicherheit von Usern und Marken sei. Google wiederum erweiterte die eigenen Regeln zur sogenannten Hate Speech: Durften bisher „Inhalten, die gegen eine bestimmte Person, Gruppe oder Organisation gerichtet sind“ nicht via Adsense beworben werden, ist nun etwas konkreter die Rede von „gefährlichen oder herabwürdigenden Inhalten“. Bei YouTube wolle man zukünftig außerdem mit entsprechenden Dienstleistern zusammenarbeiten, um ein umfassendes Brand Safety Reporting für Marken zu ermöglichen.
So kann die eigene Marke online besser geschützt werden
Doch trotz der Tatsache, dass die großen Tech-Player allesamt recht zeitnah (und durchaus verschreckt) auf das Thema reagiert haben, spricht Google immer noch gerne von „einem sehr, sehr, sehr kleinen Problem“. Pete Edwards, Chefstratege beim Marketing-Unternehmen Engine UK, glaubt deshalb, es sei nun an den Werbern selbst, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. „Die Art und Weise wie sehr sich einige Kunden damit abgefunden haben, dass nicht sie es sind, die beim Thema Digitalwerbung den Ton angeben, überrascht uns immer wieder. [Marketer] müssen einfach begreifen, dass ihnen eine wichtige Rolle zukommt – andernfalls müssen sie damit leben, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.”
Was also sollten Werber beachten, um mit Blick auf die eigene Marke wieder selbst das Ruder zu übernehmen?
- Einfluss ist wichtiger als Reichweite: Media Buyer sollten sich entsprechende Listen mit Webseiten anlegen, die für sie inhaltlich problematisch sind. Gleiches gilt für Seiten, die sie als sicher empfinden. Ein wichtiger, wenn auch naheliegender erster Schritt.
- Private Exchanges sind besser als Open Exchanges: Stephan Loerke, CEO der World Federation of Advertisers (WFA), weist darauf hin, dass die Zahl der Marketingverantwortlichen, die sich für Open Exchange-Investitionen entscheiden, nach und nach zurückginge – zugunsten von Private Exchanges mit qualitativ hochwertigeren Webeflächen. Die Vorteile: Private Exchanges sind transparenter, bieten Publishern mehr Kontrolle, bessere Werbeflächen und wirkliche Tech-Experten, die über die bloße Vermittlerfunktion hinaus beraten können.
- Händisches und automatisches Targeting kombinieren: Eines ist klar: Jede Werbefläche einzeln auszuwählen, ist auf Dauer unmöglich. Doch vollständige Automatisierung kann auch nicht die Lösung sein – zu häufig werden Nuancen oder Botschaften zwischen den Zeilen nicht richtig erkannt; das Risiko neben unpassenden Inhalten zu werben, wächst damit. Vielmehr überzeugt da die Kombination aus beiden Ansätzen, die das Beste aus zwei Welten miteinander verbindet.
- Auf Dienstleister bei der Ad Verification setzen: Mittlerweile gibt es entsprechende Anbieter, die sich auf das Verifizieren von passenden, auf die jeweilige Zielgruppe und Kampagne zugeschnittene Werbeumfelder spezialisiert haben. Stuart Hall, Technology Commercial Director bei media group GroupM, zeigt sich von dem Nutzen der Experten überzeugt und betonte kürzlich, die Zahl der Vorfälle, in denen Werbung im falschen Umfeld platziert wurde, sei bei GroupM selbst seitdem deutlich zurückgegangen.
- Vertragliche Sicherheiten schaffen: Bethan Crockett, Digital Risk Director bei media group GroupM, rät Marken dazu, gemeinsam mit ihren Media-Agenturen, genaue Maßnahmen festzulegen, um die Brand Safety zu gewährleisten. Außerdem, so der Experte, sollten Marketer darauf achten, das Thema sowie entsprechende Strafen bei Nichteinhalten in Verträgen mit Dienstleistern aufzunehmen.
- Geiz ist nicht geil: Der günstige Preis sollte nicht mehr die Top-Priorität unter Marketern sein. Stattdessen sollten sie akzeptieren, dass Qualität und Sicherheit ihren Preis haben. Denn wenn sichergestellt werden soll, dass Anzeigen sichtbar und auf den richtigen Webseiten platziert werden und sie nicht anfällig sind für Betrug, kostet das eben mehr, als sie nur wahllos irgendwo auszuspielen.
- Klickzahlen sollten nicht Teil der KPIs sein: Viele betrügerische Webseiten haben hohe Klickzahlen. Indem Marketer diese zu wichtigen Bewertungsgrößen machen, laufen sie Gefahr, beim Targeting auf entsprechende Seiten zu stoßen.
TV bietet Werbern mehr Kontrollmöglichkeiten
Unternehmen wie Procter & Gamble, die ihre Werbeausgaben aus Frustration über das Targeting von Facebook verstärkt auf TV konzentriert haben, stellen fest, dass Fernsehwerbung das bietet, was digitale Angebote oft nicht können: eine gute Kombination aus Targeting einerseits und Präzision in der Verbreitung andererseits.
Werber profitieren bei traditionellen Medien schlicht von dem Vorteil, dass sie genau wissen, in welchem inhaltlichen Umfeld sie werben. Es besteht kaum die Gefahr, dass Anzeigen an Stellen erscheinen, die nicht vorher abgenickt wurden. Ein weiterer Vorteil der TV-Ads (und hier sollten Digital-Werber unbedingt aufhorchen): Unternehmen können ihre Spots jeder Zeit zurückziehen, sollten sie das Gefühl haben, dass ihre Werbung in einem unpassenden Programmumfeld gezeigt werden soll. Werbetreibende haben damit im TV letztlich mehr Kontrolle über ihre Kampagne und ihre Marke.
Ist Brand Safety also nicht mehr als eine unrealistische Traumvorstellung?
Die schieren Summen an Geld, die weltweit in Digitalwerbung gesteckt werden, – emarketer geht 2017 von 223,74 Milliarden US-Dollar aus – macht das Thema Brand Safety so wichtig. Es ist nur verständlich, dass Unternehmen, die investieren, entsprechende Absicherungen und Garantien verlangen.
Auch wenn sich schon viel getan hat und die Zahlen fehlerhafter Werbeplatzierungen mittlerweile zurückgehen, ist es wie so oft im Tech-Business: kein System ist frei von Fehlern. Marketer sollten deshalb unbedingt eigenverantwortlicher handeln, indem sie Werbeflächen sorgfältiger auswählen und möglichst mit zertifizierten Experten zusammenarbeiten, die ihnen dabei helfen.
Für Werber ist es das oberste Gut, möglichst in der richtigen Zielgruppe und im richtigen Kontext ein positives Markenimage zu vermitteln. TV-Werbung eignet sich hierfür besonders. Doch während die TV-Werbeszene sicherlich noch einiges von den Digitalern in Sachen Echtzeit-Messungen und Optimization lernen kann, ist es jetzt an der Digitalwerbe-Szene, ihre Hausaufgaben beim Thema Brand Safety zu machen.