Warum Amerika für Start-ups immer noch das gelobte Land ist – und Europa Nachholbedarf hat

Wieso gibt es kein deutsches Google oder Facebook, warum entstehen hierzulande so wenige neue Unternehmen? Liegt es nur daran, dass die Deutschen das Risiko des Unternehmertums scheuen, kommen sie zu schwer an Gründungskapital oder haben die Jungs im Silicon Valley einfach nur die besseren Ideen? Ein Erklärungsversuch.G

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt des Landes (BIP) investieren die Amerikaner zehnmal so viel in Wagniskapital als die Deutschen. In den USA sind große Volumina an Kapital schnell verfügbar, hinzu kommt die hohe Risikoneigung amerikanischer Investoren. Je technologieintensiver das Geschäftsmodell, desto früher muss die Vorfinanzierung einsetzen, meist deutlich vor der Marktreife. Und in Deutschland? Hierzulande sind Investoren mit einer solchen Risikoneigung rar gesät. Nur zum Vergleich: Facebook konnte bereits vor dem IPO 2 Milliarden Dollar einsammeln. Um Deals einer solchen Größenordnung zu stemmen, benötigt es Investoren, die genügend Kapital haben, um mehrere Deals mit einem vergleichbaren Chance-Risikoprofil einzugehen. Denn jeder Investor weiß, dass nur wenige seiner Investments am Ende eine hohe Rendite einspielen können. 

Facebook, Twitter und Snapchat hätte es in Deutschland nie gegeben

So gut wie alle Consumer-orientierten Start-up-Größen, die das Verhalten von Millionen von Menschen rund um den Globus beeinflussen und nachhaltig verändern, kommen aus den USA. Facebook, Twitter oder Snapchat hätten im Milieu der deutschen Start-up-Szene unmöglich entstehen können. Um diese Unternehmen in Gang zu bekommen, bedarf es einer kritische Masse an Nutzern, die durch Netzwerkeffekte Mehrwert für das Unternehmen generieren können. Und da haben die Amerikaner eben einen enormen Wettbewerbsvorteil: Nur der riesige einheimische US-Markt erlaubt es Start-ups den Markt effizient zu skalieren. In Europa mit seinen verschiedenen Sprachen und unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten ist das ungleich schwieriger. 

Der trendbewusste, experimentierfreudige US-Konsument macht den Unterschied

Doch das Jammern über schlechtere Rahmendbedingungen ist das eine. Es gibt einen weiteren Grund, warum sich Consumer-Start-ups in Europa schwerer tun als in USA, der mit der Verfügbarkeit von Kapital und der Regulierung durch den Gesetzgeber nichts zu tun hat: Nirgendwo gibt es einen experimentierfreudigeren und einen so ausgabewilligen Konsumenten als in den USA. 68% der gesamten Wirtschaftsschöpfung in den USA entfallen auf den privaten Konsum, in Deutschland sind es lediglich 53 Prozent. Amerikanische Konsumenten adoptieren neue Trends schneller und neigen auch zu extremem Konsumverhalten. Nur dadurch ist es erklärbar, dass sich Fastfood-Ketten wie McDonalds oder Subway in den 70iger-Jahren rasant entwickelt haben, während sich der Trend in Europa nur zaghaft und mit jahrelanger Verspätung durchsetzen konnte. Die Folge: In Europa konnte sich nie ein wirklicher Marktführer ausbilden, vielmehr haben sich amerikanische Ketten nach und nach ausgebreitet. 

Amerikanische Konsumenten sind schlicht experimentierfreudig als ihre Pendants in der alten Welt. Sie sind in der Regel leicht übergewichtig, haben meistens zwei Jobs, mindestens drei Verbraucherkredite, ein überzogenes Girokonto sowie noch einige Leasingverträge. Der Amerikaner merkt in der Regel nicht, dass seine Bedürfnisse nicht aus ihm selbst geboren sind, sondern erst durch massive Werbekampagnen erzeugt wurden. Eine Feldstudie in einer Region in Südafrika ergab, dass die nativen Bewohner dort kein Bedürfnis nach Flachbildfernsehern, geräucherter Entenbrust oder schnellen Cabriolets hatten. Erst nachdem an allen Bäumen, Straßen und Plätzen Werbeplakate aufgehängt wurden, wollten Teilnehmer die erwähnten Produkte. 

Amerika hat die moderne Wegwerfgesellschaft perfektioniert. Dagegen agiert der deutsche Verbraucher viel zurückhaltender und rationaler. Bevor er einkauft, prüft er die Angebote und vergleicht die Vor- und Nachteile der einzelnen Produkte. Konsumgüterunternehmen haben es vergleichsweise schwer, den deutschen Verbraucher zum Konsum zu animieren. 

Auf der Suche nach dem nächsten SAP

Dennoch: Es macht keinen Sinn, angesichts der vielen Wettbewerbsvorteile der Amerikaner den Kopf in den Sand zu stecken. Auch aus Deutschland heraus könnte sich ein Start-up mit Weltpotential entwickeln. Mit der richtigen Idee und den adäquaten Kapitalgebern könnten auch europäische Start-ups schnell in die USA expandieren. Und mit einer pfiffigen Innovation, die durch den Einsatz von Massenmedien einen medialen „Hype“ erzeugt, ist es auch bei uns nicht undenkbar, dass in kürzester Unternehmen mit Potential entstehen. Zeit wird es allemal: Die letzte deutsche Firmengründung, die es zu Weltrang brachte, ist genau 40 Jahre her. 1976 wurde SAP gegründet.

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