Während die Kollegin nach dem aktuellen Zahlenreport fragt und der Kalender uns an das wichtige Meeting in fünf Minuten erinnert, versuchen wir, gleichzeitig drei E-Mails zu schreiben und dabei den Kaffee nicht zu verschütten. Ach, die Tasse ist sowieso leer, weil der Gang zur Kaffeemaschine vorhin durch eine WhatsApp Benachrichtigung abgebrochen wurde. Unser heutiger Arbeitsalltag kann dank der digitalen Informationsflut und dem Multitasking-Druck schnell dazu führen, dass wir uns überfordert fühlen. Eine moderne und wertschätzende Unternehmenskultur greift hier unterstützend ein: Achtsamkeit in der Arbeitswelt schützt vor Stress, reduziert Druck und sorgt dafür, dass Mitarbeiter:innen körperlich und geistig gesund bleiben.
Achtsamkeit sorgt nicht nur für Entschleunigung
Achtsamkeit bedeutet, dass man sich des aktuellen Moments komplett bewusst ist. Man betrachtet sich selbst achtsam im Hier und Jetzt, und zwar ohne bewertende Gefühle. Achtsamkeit hat ihren Ursprung in der buddhistischen Tradition, kann heute aber losgelöst davon betrachtet werden. Einen großen Anteil an der “Ent-Esoterisierung” von Achtsamkeit hat der US-Professor und Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn. 1979 gründete er die Stress Reduction Clinic in Massachusetts und entwickelte das MBSR (“Mindfulness-Based Stress Reduction”) Programm, das heute die Grundlage für die moderne Achtsamkeitspraxis ist.
Die Wirkung von Achtsamkeitsübungen ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Verschiedene Studien zu MBSR und anderen Achtsamkeits-Programmen ergaben, dass tägliches Training Stressresistenz, Aufmerksamkeit und Konzentration erhöhen. MRT-Bilder belegen sichtbar, wie achtsames Meditieren Angst verringert und Gedächtnis aufbaut. Auch eine Veränderung des Hormonspiegels im Blut und eine damit verbundene Stressreduzierung wurde bereits molekularbiologisch nachgewiesen. Dass Achtsamkeit sich positiv auf Körper und Geist auswirkt, ist also eine klare Sache. Wird Achtsamkeit in die Arbeitswelt integriert, ergeben sich konkrete Vorteile:
- Verhinderung von Burnout
Laut einem Report von Statista belegen psychische Erkrankungen mit 17 % den zweiten Platz, warum deutsche Arbeitnehmer:innen in den Jahren 2014 bis 2020 nicht zur Arbeit kommen konnten. Die AOK registrierte 2019 fast 130 Krankheitstage je 1.000 Mitglieder aufgrund von Burnout. Hochgerechnet auf alle gesetzlich krankenversicherten Angestellten sind das rund 185.000 Burnout-Fälle mit 4,3 Millionen Krankheitstagen. Burnout ist zur Volkskrankheit geworden und wirkt sich massiv auf das Arbeitsleben aus. Als verantwortungsvoller Unternehmer sollte man alles tun, um seine Mitarbeiter:innen zu schützen und Fehltage zu minimieren. Die Aufnahme von Achtsamkeit ins Daily Business wirkt ausgleichend auf die Psyche der Beschäftigten und reduziert gesundheitsbedingte Ausfälle.
- Steigerung der Arbeitsleistung
Es muss nicht immer gleich das Burnout sein. Jeder hat zwischendurch mit Versagensängsten, inneren Blockaden oder Erschöpfungsgefühlen zu kämpfen. Achtsamkeitsübungen helfen dabei, die Batterien wieder aufzuladen und zu fokussieren. Wer wieder lernt, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren und Ablenkungen klug zu umschiffen, der macht weniger Fehler und hat wieder mehr Zeit für Kreativität. Achtsamkeit macht nicht nur gelassener, sondern auch produktiver.
- Verbesserung des Betriebsklimas
Die Zufriedenheit der Belegschaft hat großen Einfluss auf die Arbeitsleistung. Neben einer modernen Feedbackkultur und einer offenen Kommunikation trägt die Implementierung von Achtsamkeit in der Arbeitswelt zu einem positiven Betriebsklima bei. Eine Belegschaft, die dank Achtsamkeit entspannter und effektiver arbeitet, ist zufriedener.
- Festigung von Führungskräften
Menschen in Führungspositionen sind oft besonders belastet. Achtsamkeitsübungen helfen dabei, besser zuzuhören, zu kommunizieren und Entscheidungen klarer zu treffen. Die Führungskraft lernt Techniken, um Ärger zu bekämpfen, Gelassenheit zu wahren und das Selbstbewusstsein zu stärken.
Wie wende ich Achtsamkeit in der Arbeitswelt an?
Im Zuge der digitalen Transformation haben Führungskräfte mit neuen Herausforderungen zu kämpfen. Die Corona-Krise hat den Wandel zu New Work beschleunigt und Leader müssen sich mit den Auswirkungen von Remote-Work auseinandersetzen. Gemeinsame Achtsamkeitsübungen stärken den Teamzusammenhalt im Home-Office und geben Angestellten Sicherheit. Große Unternehmen haben die Vorteile von Achtsamkeit und Mindfulness bereits vor Jahren erkannt. Vorreiter war wie sooft Google, die bereits 2007 das Meditationsprogramm “Search inside Yourself” launchten, dessen Kurse sich bis heute großer Beliebtheit bei der Belegschaft erfreuen. Aber auch deutsche Unternehmen wie Bosch, SAP und Siemens bieten Kurse an, wie man achtsamer mit sich und anderen umgehen kann. ProSiebenSat.1 hat mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement “P7S1 cares for you”, das sich für körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen einsetzt, ebenfalls einen Schritt in Richtung Mindfulness gemacht.
Um Achtsamkeit in der Arbeitswelt erfolgreich zu integrieren, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- Seminare und Kurse
In Achtsamkeitsseminaren lernen Belegschaft und Führungskräfte verschiedene Meditationstechniken und absolvieren Wahrnehmungsübungen. Der übliche MBSR-Kurs dauert acht Wochen und beinhaltet unter anderem den sogenannten Body Scan, Sitzmeditation und Yoga. Aber auch kürzere Achtsamkeits-Coachings, Workshops und Lunch-and-Learn-Sessions können der Startschuss für mehr Gelassenheit sein.
- Tägliche Übungen im Arbeitsalltag
Mit kurzen, aber regelmäßigen Übungen kann das Thema Achtsamkeit im Arbeitsalltag eingeführt werden. Das kann eine tägliche Atemübung im Team sein oder drei Minuten Schweigen am Anfang eines Meetings. Auch eine ganz persönliche Auszeit zwischendrin sollte gefördert werden. Im Netz gibt es verschiedene Videos, die durch fünf Minuten Bildschirmpause führen:
- Dashboards und Apps
Auch digital lässt sich Achtsamkeit einfach in den Arbeitsalltag integrieren. Ein Mindfulness Dashboard, auf dem die Belegschaft täglich ihre Gefühle und Gedanken notiert, hilft beim achtsamen Selbstmanagement und ist eine gute Präventivmaßnahme zur Stressbewältigung. Achtsamkeits-Apps wie “7Mind” oder “Headspace” sind aktuell im Trend, die Meditations-App “Calm” war 2017 App des Jahres.
- Abschalten ist Chefsache
Der Impuls für Achtsamkeit muss aus der Chefetage kommen und immer wieder reaktiviert werden. Mitarbeiter:innen sollten täglich aktiv an Auszeiten erinnert werden, die Leader mit gutem Beispiel vorangehen. Dazu gehört die klare Einhaltung von Arbeitszeiten und kein Abrufen und Verschicken von Mails nach Feierabend. Engagierte Unternehmen stellen einen Mindfulness Officer ein, der sich um die Integration von Achtsamkeit in die Unternehmenskultur kümmert.
Fazit
Als modernes Unternehmen kommt man heutzutage am Thema Achtsamkeit nicht vorbei. Mit Übungen, Apps und Seminaren lässt sich das Thema Mindfulness in den Arbeitsalltag integrieren. Achtsamkeit reduziert nachweislich Stress, führt zu höherer geistiger Agilität und macht Mitarbeiter:innen selbstbewusster und kreativer. Vom Vorurteil, dass so ein esoterischer Humbug nicht zum eigenen KPI-getriebenen Unternehmen passt, sollte man sich freimachen.
Allerdings muss klar sein, dass Achtsamkeit in der Arbeitswelt keine arbeitsinternen Probleme lösen kann. Wenn Führungskräfte Achtsamkeit nur dazu einsetzen, um die Produktivität zu steigern und strukturelle Probleme zur persönlichen Bürde der Belegschaft machen, wird das Ziel verfehlt. Wer sich Sorgen um Workload und unerledigte Aufgaben macht, sollte sich eine alte Zen-Weisheit zu Herzen nehmen:
“Du sollst täglich 20 Minuten meditieren. Außer, du hast keine Zeit dafür. Dann solltest du eine Stunde meditieren.”